Der Buddha aus der Vorstadt
Bewegung machen, ohne vor Schmerz zusammenzuzucken. Ich war der Stärkere geworden; aber ich konnte nicht mehr mit ihm kämpfen - und dabei wollte ich mit ihm kämpfen -, weil ihn der erste Schlag schon zu Boden schicken würde. Ich war enttäuscht und traurig.
Im Gegensatz zu ihm sah Eva jung und wie eine Managerin aus. Sie trug ein kurzes Kleid, schwarze Strümpfe und flache Schuhe. Ihre Haare waren elegant frisiert, und sie benutzte ein teures Parfüm. Alles Vörstädtische an ihr war verschwunden; sie war über sich selbst hinausgewachsen und eine prächtige, kluge und charmante Frau mittleren Alters geworden. Ich hatte sie schon immer geliebt und nicht immer nur als Stiefmutter. Sie hatte mir viel bedeutet und tat es immer noch.
Eva zeigte der Journalistin die Wohnung und hielt mich an der Hand, während wir durch die Zimmer gingen. »Komm mit und sieh dir unsere Arbeit an«, sagte sie zu mir. »Und spar nicht mit Bewunderung, Mr Zynisch.«
Ich bewunderte. Sie hatten mehrere Vorratskammern und einen Großteil des ehemals breiten Flurs in die Wohnfläche eingegliedert, wodurch die Zimmer größer und offener geworden waren. Eva und Ted hatten hart gearbeitet.
»Wie Sie sehen können, ist die Wohnung im femininen Stil englischer Tradition gehalten«, erklärte Eva der Journalistin, während wir die cremefarbenen Teppiche, die mit Gardenien bemalten Tapeten, die hölzernen Fensterläden und die Sessel und Bambustische im englischen Landhausstil betrachteten. In der Küche standen Körbe mit getrockneten Blumen, und auf dem Boden lagen Kokosmatten. »Sehr weich, doch nicht zu überladen«, fuhr sie fort. »Allerdings ist das nicht unbedingt der von mir bevorzugte Stil.« »Ah ja?« sagte die Journalistin.
»Ich persönlich würde eher etwas Japanisches vorziehen.« »Etwas Japanisches, ach so.«
»Aber ich möchte mehrere Stilarten beherrschen können.« »Wie ein guter Friseur«, sagte die Journalistin. Eva konnte nicht anders: Sie warf der Frau einen wütenden Blick zu, bevor sie ihr Gesicht wieder unter Kontrolle brachte. Ich mußte laut lachen.
Der Fotograf stellte die Möbel um und fotografierte jeden Gegenstand nur an Stellen, an denen er vorher nicht gestanden hatte. Und er fotografierte Eva nur in Stellungen, die sie unbequem fand und in denen sie unnatürlich wirkte. Bestimmt hundertmal fuhr sich Eva mit den Fingern durch das Haar, spitzte die Lippen und riß die Augen auf, als hätte man ihr die Lider an die Stirn geklebt. Und dabei redete sie unermüdlich auf die Journalistin ein, erzählte ihr, wie sie aus einer ehemaligen Abbruchbude dieses Beispiel kreativer Raumnutzung geschaffen habe. Aus ihrem Mund klang es wie die Erbauung von Notre Dame. Sie sagte kein Wort davon, daß sie plante, die Wohnung zu verkaufen, sobald der Artikel erschienen war, mit dem sie den Preis in die Höhe treiben wollte. Als die Journalistin fragte: »Und was ist Ihre Lebensphilosophie?«, tat Eva so, als hätte sie im Verlauf eines Gesprächs über Inneneinrichtung nichts anderes erwartet, als genau diese Frage.
»Meine Lebensphilosophie?«
Eva sah zu Dad hinüber. Normalerweise hätte er eine solche Frage zum Anlaß genommen, eine Stunde lang über Taoismus und dessen Beziehung zum Zen-Buddhismus zu reden. Aber er sagte nichts, sondern wandte nur sein Gesicht ab. Eva setzte sich neben ihn auf die Armlehne des Sofas, streichelte ihm mit einer zugleich liebevollen und doch auch unpersönlichen Geste über die Wange und sah ihn zärtlich an. Sie hatte es ihm immer recht machen wollen. Und sie liebte ihn noch, dachte ich. Ich war froh, daß sie sich um Dad kümmerte. Aber dann fragte ich mich: Liebte er sie eigentlich? Ich war mir nicht sicher. Ich würde ihn beobachten.
Eva gab sich selbstsicher, stolz und gelassen. Sie hatte viel zu sagen; jahrelang hatte sie über viele Dinge nachgedacht, und endlich ergaben die Ideen für sie einen Zusammenhang. Sie hatte eine Weltanschauung; jedoch zog sie das Wort Paradigma vor.
»Bevor ich diesen Mann hier traf«, sagte sie, »war ich mutlos und hatte den Glauben an mich verloren. Ich hatte Krebs, mir wurde eine Brust entfernt. Ich rede nur selten davon.« Die Journalistin nickte, als wisse sie dieses Vertrauen zu schätzen. »Aber ich wollte leben. Und heute liegen hier in der Schublade die Unterlagen für mehrere Aufträge. Ich spüre jetzt, daß für mich fast nichts unmöglich ist - vorausgesetzt, ich übe mich regelmäßig in den verschiedenen Techniken wie Meditation und
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