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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Welt schien so unveränderlich zu sein, daß es mir nicht leicht fiel, mich mit dieser Liebe abzufinden. Aber hatte er sie nicht selbst publik gemacht? Hatte er nicht am Ende seiner Vorstellung mit einem Geräusch, als würde er eine Orange aussaugen, Eva einen schmatzenden Kuß gegeben und ihr gestanden, daß er es ohne sie nie geschafft hätte? Und sie war ihm mit der Hand durch sein Haar gefahren, während Carl und Marianne in ihrer Hände-zusammen-Betposition verharrten und Ted und Jean herumstanden und glotzten und in ihren blöden Mänteln wie Geheimpolizisten aussahen. Was war los mit Dad?
    Mum wartete im Flur auf uns, ihr Gesicht halb vom Telefon verborgen. Sie sagte wenig, aber ich konnte Jeans blecherne Stimme am anderen Ende hören. Man hatte keine Zeit verloren. Dad verdrückte sich in sein Zimmer. Ich wollte auch gerade nach oben laufen, als Mum sagte: »Warte eine Sekunde, Klugscheißer, da will jemand mit dir reden.«
    »Wer?«
    »Komm her.«
    Sie hielt mir den Hörer hin, und ich hörte Jean nur den einen Satz sagen: »Komm uns morgen besuchen; keine Widerrede. Verstanden?«
    Sie schrie einen immer so an, als ob man blöde wäre. Arschloch, dachte ich. Wenn sie in dieser Stimmung war, würden mich keine zehn Pferde in ihre Nähe bringen. Andererseits war ich natürlich der neugierigste Mensch, der mir je begegnet war. Ich würde gehen - das stand fest.
    Also putzte ich am nächsten Morgen mein Fahrrad und holperte bald darauf über die halbfertigen Straßen. Es war der gleiche Weg, den Dad und ich am Abend zuvor gegangen waren. Ich fuhr langsam und beobachtete dabei die Männer, die über ihre Autos redeten, sie bewunderten, abspritzten, wuschen, staubsaugten, polierten, auf Hochglanz brachten, alte Farbe abkratzten, neue Farbe auftrugen. Es war ein schöner Tag, aber ihre Gewohnheiten würden sie deshalb nie ändern. Frauen riefen, das Essen sei auf dem Tisch. Menschen in Hüten und Anzügen kamen aus der Kirche und trugen Bibeln in der Hand. Die Kids hatten saubere Gesichter und gekämmte Haare.
    Ich war noch nicht ganz darauf eingestellt, mir von Ted und Jean die Laune verderben zu lassen, also beschloß ich, auf einen Sprung bei Helen vorbeizugehen. Sie wohnte nicht weit weg. In der Frühe war ich in Dads Zimmer gehuscht und hatte einen seiner staubigen London-Gefühlsecht mitgehen lassen - man kann ja nie wissen.
    Helen lebte in einem großen alten Kasten, der etwas abseits von der Straße stand. Mir kam es so vor, als ob alle Menschen, die ich kannte, Charlie und die anderen, in großen Häusern wohnten, nur wir nicht. Kein Wunder, daß ich an einem Minderwertigkeitskomplex litt. Aber Helens Haus war seit Urzeiten nicht mehr gestrichen worden. Zwischen den Sträuchern und Blumenbeeten wucherte das Unkraut, und auf dem Weg hatte sich Löwenzahn breitgemacht. Der Gartenschuppen war halb verfallen. Eine Schande, hätte Onkel Ted gesagt.
    Ich stellte mein Fahrrad draußen ab und kettete es an den Zaun. Die Pforte klemmte. Ich gab mich erst gar nicht damit ab und kletterte direkt über den Zaun. Als ich an der Eingangstür klingelte, hörte ich irgendwo tief im Haus eine Glocke. Es war ziemlich gespenstisch. Niemand öffnete, also schlenderte ich zur Rückseite.
    »Karim, Karim.« Helen klang nervös und besorgt. Ihre Stimme kam aus einem Fenster über meinem Kopf.
    »Hey«, rief ich. »Ich wollte nur mal bei dir vorbeischauen.«
    »Bei mir auch, wie?«
    Sie nervte mich. Ich wollte immer, daß alles sofort geschieht. »Was ist los? Kannst du nicht runterkommen? Was soll dieses Julia-Getue?«
    In diesem Moment schien jemand ihren Kopf ins Haus zurückzureißen. Ich hörte einen gedämpften Wortwechsel - eine Männerstimme -, und das Fenster knallte zu. Dann wurden die Vorhänge vorgezogen.
    »Helen! Helen!« rief ich und fühlte mich plötzlich sehr zu ihr hingezogen.
    Die Haustür ging auf. Helens Vater stand im Eingang. Er war ein großer Mann mit einem schwarzen Bart und dicken Armen. Ich bildete mir ein, daß er auch haarige Schultern hatte und, noch schlimmer, einen haarigen Rücken, so wie Peter Seilers und Sean Connery. (Ich führte eine Liste von Schauspielern mit haarigen Rücken, die ich ständig ergänzte.) Und dann wurde ich blaß, aber offenbar nicht blaß genug, denn Pelzrücken ließ den Hund von der Leine, eine verdammt große dänische Dogge, und sie trottete neugierig auf mich zu. Ihr Maul klaffte wie eine Höhle. Es sah aus, als hätte jemand aus ihrem Kopfklumpen einen gezackten

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