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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Mustn’t Grumble. Die Band war schon seit zwei Jahren zusammen und trat bei Schulfeten, in Kneipen und als Vorgruppe bei einigen größeren Konzerten auf, aber vorher war noch nie etwas über sie geschrieben worden. Dieser plötzliche Ruhm beeindruckte und verstörte die ganze Schule, inklusive der Lehrer, die Charlie nur Girlie nannten.
    Beim Anblick von Helen hellte sich Charlies Gesicht auf, und er kam zu uns herüber. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn.
    »Wie waren die Proben?« fragte sie ihn. Ihre Hand fuhr durch sein Haar.
    »Großartig. Wir treten bald wieder auf.«
    »Ich werde kommen.«
    »Wenn nicht, spielen wir nicht«, sagte er. Darüber lachte sie wie bescheuert. Ich mischte mich ein; ich mußte unbedingt auch etwas beitragen.
    »Wie geht es deinem Dad, Charlie?«
    Er sah mich amüsiert an. »Viel besser.« Er sagte zu Helen: »Dad liegt im Kopf-Krankenhaus. Nächste Woche wird er entlassen, und ständig sagt er, er würde nach Hause zu Eva gehen.«
    »Wirklich?«
    Eva würde wieder mit ihrem Mann Zusammenleben? Das überraschte mich. Und Dad würde es zweifellos auch überraschen.
    »Freut sich Eva?« fragte ich.
    »Wie du genau weißt, du kleine Schwuchtel, wäre sie beinahe gestorben. Sie ist zur Zeit an anderem interessiert. Genauer: an anderen Leuten. Okay? Ich schätze, Dad wird den großen Rausschmiß erleben, sobald er bei uns zur Tür hereinkommt. Eva wird ihn zurück zu seiner Mum schicken; und das wird es dann wohl gewesen sein.«
    »O Gott.«
    »Yeah, aber ich mochte ihn noch nie besonders. Er ist ein Sadist. In unserem Haus gibt es dann für jemand anderen Platz. Unser Leben wird sich ziemlich bald ändern. Ich mag deinen alten Herrn, Milchgesicht. Er inspiriert mich.«
    Ich fühlte mich geschmeichelt. Gerade wollte ich sagen: Wenn Eva und Dad heiraten, dann bist du mein Bruder, und wir haben Inzest begangen, aber ich schaffte es noch, die Klappe zu halten. Trotzdem durchlief mich ein freudiger Schauer, wenn ich daran dachte. Es würde bedeuten, daß Charlie und ich auf Jahre miteinander verbunden wären, selbst lange nachdem wir die Schule verlassen hatten. Ich wollte Dad und Eva in ihrer Idee, zusammenzuziehen, bestärken. War es nicht schließlich Mums Problem, wieder auf die Beine zu kommen? Vielleicht würde sie sogar jemand anderen finden, obwohl ich da meine Zweifel hatte. Plötzlich erschütterte eine Explosion die Vorstadtstraße vor der Schule. Der Krach war lauter als alles, was man seit der Bombardierung durch die deutsche Luftwaffe 1944 gehört hatte. Fenster wurden geöffnet; Händler rannten aus ihren Ladentüren; Kunden hörten auf, über Schinkenspeck zu diskutieren, und drehten sich um; unsere Lehrer gerieten auf ihren Fahrrädern ins Schlingern, weil die Druckwelle wie ein heftiger Windstoß an ihnen zerrte; Jungs liefen aus der Schule zu den Toren, während andere, coolere, nur mit den Achseln zuckten oder sich angewidert umdrehten, spuckten, fluchten und davonschlurften.
    Der rosarote Vauxhall Viva hatte quadrophonische Lautsprecher, aus denen die Byrds ihr »Eight Miles High« dröhnten. Auf dem Rücksitz saßen zwei Mädchen, und Charlies Manager, genannt Fisch, ein großer, hübscher ehemaliger Internatsjunge mit geradem Rücken, saß hinterm Steuer. Von seinem Vater hieß es, er sei Admiral der Navy, seine Mutter war angeblich eine Lady. Fisch hatte kurze Haare und trug meist einfallslose Klamotten, zum Beispiel ein weißes Hemd, dazu einen zerknitterten Anzug und Turnschuhe. Er machte der Mode keine Zugeständnisse, aber trotzdem war er irgendwie in und cool. Ihn konnte nichts verblüffen. Und dieses rätselhafte Wesen war neunzehn, nicht viel älter als wir, aber er gehörte eben nicht zum gemeinen Volk wie unsereins, und wir hielten ihn für überlegen, für genau den richtigen Jungen, um auf unseren Charlie aufzupassen. Beinahe jedesmal, wenn Charlie nachmittags in der Schule war, tauchte er auf, um ihn zu Proben mit seiner Band ins Studio abzuholen.
    »Kann ich dich mitnehmen?« rief Charlie zu Helen.
    »Heute nicht! Bis dann!«
    Charlie schlenderte zu dem Wagen. Je näher er kam, um so nervöser wurden die beiden Mädchen, als würde er einen Wind vor sich herschicken, der sie aufscheuchte wie ein paar Hühner. Als er einstieg und sich neben Fisch setzte, beugten sie sich vor und küßten ihn begeistert. Er sah in den Rückspiegel und brachte sein Haar wieder in Ordnung, während das Monster sich in den Verkehr einfädelte und einige

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