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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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mit überlegener Miene. »Was für Probleme?« fragte ich. Auf Details hatte er noch nie Wert gelegt; er schüttelte den Kopf, als wollte er andeuten, daß er bei so vielen Problemen gar nicht wisse, wo er mit der Aufzählung beginnen solle. Nur seiner Beweisführung zuliebe hatte er ergänzt: »Aussteuer und all das.«
    Wir erzählten ihm alles. »Anwar ist der älteste Freund, den ich auf dieser Welt habe«, sagte er traurig, als wir fertig waren. »Wir alten Inder mögen dieses England immer weniger und kehren innerlich in ein Indien unserer Phantasie zurück.«
    Helen nahm Dads Hand und streichelte sie tröstend.
    »Aber dies ist eure Heimat«, sagte sie. »Es gefällt uns, daß ihr hier seid. Eure Traditionen sind für unser Land von Nutzen.«
    Jamila verdrehte die Augen. Ich sah, daß Helen sie an den Rand des Wahnsinns trieb. Mich brachte Helen sonst nur zum Lachen, aber dies hier war eine ernste Angelegenheit. Ich sagte: »Willst du nicht zu ihm hingehen und mit ihm reden, Dad?«
    »Er würde nicht einmal auf Gandhi persönlich hören«, sagte Jamila.
    »Na gut«, sagte Dad. »Kommt in fünfundneunzig Minuten zurück. Ich werde euch meine Antwort geben, wenn ich diesen Gedanken zu Ende gedacht habe.«
    »Großartig!«
    Also verließen wir drei die Victoria Road, eine Sackgasse. Wir liefen durch die tristen, widerhallenden Straßen bis zur Kneipe, vorbei an vollgeschissenen Parkanlagen, vorbei an der viktorianischen Schule mit den Außentoiletten, an den zahlreichen zerbombten Grundstücken - unseren eigentlichen Spielplätzen und Sexschulen -, vorbei an den adretten Gärten und den unzähligen der Straße zugewandten Zimmern, in denen lauter bekannte Unbekannte wohnten, und den unwirklich schimmernden Fernsehapparaten. Eva nannte unseren Bezirk immer »die höheren Tiefen«. Es war so still, daß keiner von uns den Klang der eigenen Stimme hören wollte; es wäre uns peinlich gewesen.
    Dort lebte Mr Whitman, der Polizist, mit seiner jungen Frau Noleen, daneben ein Rentnerehepaar, Mr und Mrs Holub. Sie waren Sozialisten aus der Tschechoslowakei, die hier im Exil lebten, und ohne daß sie etwas davon ahnten, verließ ihr Sohn jeden Freitag und Samstag das Haus im Schlafanzug, um sich harte, wilde Musik anzuhören. Gegenüber lebte noch ein Rentnerpaar, ein Lehrer und seine Frau, die Gothards. Deren Nachbarn war eine Familie aus dem East End, die Lovelaces, Verkäufer von Vogelsamen - die alte Oma Lovelace war Toilettenfrau in den Library Gardens. Etwas weiter die Straße hinunter wohnten ein Reporter aus der Fleet Street, Mr Nokes, seine Frau und deren übergewichtige Kids, und daneben die Scoffields - Mrs Scoffield war Architektin.
    Alle diese Häuser waren »verschönert« worden. Das eine hatte ein neues Vordach über dem Eingang, das andere Doppelglasfenster, »georgianische« Fenster oder eine neue Tür mit Messingknauf. Küchen waren vergrößert, Dachböden ausgebaut, Wände eingerissen und Garagen angebaut worden. Hierin lag nämlich die wahre Leidenschaft der Engländer: keine Leidenschaft für die Selbstverbesserung, die Kultur oder den Geist, sondern eine Leidenschaft für DIY, Do It Yourself, für das größere und bessere Haus mit mehr Extras, die sorgfältige Anhebung des Komforts und damit auch des gesellschaftlichen Status - quasi die Zurschaustellung des Einkommens in Stein und Mörtel. Zurschaustellung war ihr Ein und Alles. Wie oft waren wir bei einem Besuch in der Nachbarschaft, noch bevor uns eine Tasse Tee angeboten worden war, durch das Haus geführt worden - »Schon wieder die grande tour«, seufzte Dad -, um Zimmer zu bewundern, zwischen denen die Wände herausgeschlagen worden waren, um geschickt eingefügte Geschirrschränke oder Schlafjplätze, Duschen, Kohlenkammern oder Gewächshäuser zu bestaunen.
    In der Kneipe, dem Chatterton Arms, saßen alternde Teddy Boys mit steifen, wie gemeißelten Haarlocken, einem Schiffssteven nicht unähnlich, und hatten Jacken mit Samtkragen und aufgekrempelten Ärmeln an. Ein paar bedrohlich aussehende Rocker trugen Ketten und nietenbeschlagene Lederklamotten und redeten vom Rudelficken, ihrer Lieblingsbeschäftigung. Und einige Skinheads in Halbschuhen mit dicker Sohle, Levis, Strickjacke und Hosenträgern waren mit ihren Mädchen da. Viele kannte ich von der Schule: Sie waren jeden Abend in der Kneipe, ebenso wie ihre Väter, und sie würden immer da sein, würden nie wieder fortgehen. Als sie zwei Hippies mit einem Paki hereinkommen sahen, waren

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