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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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ist mit meiner Mutter?« Anwar würde Jeeta an allem, was Jamila tat, die Schuld geben. Jeetas Leben würde zur Hölle auf Erden werden, und für sie gab es keinen Ort, an den sie sich flüchten konnte. Ich hatte die hervorragende Idee, daß Jamila und Jeeta doch zusammen fortlaufen sollten, aber Jeeta würde Anwar nie verlassen: Indische Frauen tun das nicht. Unsere Gedanken drehten sich ständig im Kreis, als Helen plötzlich einen Geistesblitz hatte.
    »Wir fragen einfach deinen Vater, Karim«, sagte sie. »Er ist ein kluger Mann, er ist vergeistigt und -«
    »Er ist ein totaler Spinner«, sagte Jamila.
    »Wir können es doch wenigstens versuchen«, erwiderte Helen.
    Also zogen wir los zu unserem Haus.
    Mum, unter deren Morgenmantel die fast durchscheinend weißen Beine hervorlugten, saß im Wohnzimmer und zeichnete. Sie schloß rasch ihre Skizzenmappe und ließ sie hinter dem Sessel verschwinden. Ich konnte ihr ansehen, daß sie ihr Arbeitstag im Schuhgeschäft erschöpft hatte. Immer nahm ich mir vor, mich danach zu erkundigen, aber »Wie war dein Tag?« zu fragen, wäre mir so lächerlich vorgekommen, daß ich mich nie dazu überwinden konnte. Sie sprach deshalb mit niemandem über ihre Arbeit. Jamila setzte sich auf einen Stuhl und starrte Löcher in die Luft, als wäre sie glücklich darüber, das Thema des Selbstmordes ihres Vaters anderen überlassen zu können.
    Helen sagte, daß sie bei Dads Auftritt in Chislehurst dabei gewesen sei und tat sich damit weder einen Gefallen, noch vermehrte sie unbedingt die Chance für Frieden auf Erden. »Ich war nicht dort«, sagte Mum.
    »Ach, wie schade. Es war phantastisch.« Mum schaute sie wehleidig an, aber Helen hörte nicht auf. »Es war befreiend. Es rief in mir den Wunsch wach, fortzugehen und in San Francisco zu leben.«
    »Dieser Mann ruft in mir auch den Wunsch wach, fortzugehen und in San Francisco zu leben«, sagte Mum.
    »Aber wahrscheinlich haben Sie auch schon alles von ihm gelernt, was er zu lehren hat. Sind Sie Buddhistin?«
    Sie war ziemlich daneben, diese Unterhaltung zwischen Mum und Helen. Sie sprachen über Buddhismus in Chislehurst, über Bewußtseinserweiterung, über Freiheit und Festivals. Aber für Mum war in unseren Straßen noch immer der Zweite Weltkrieg gegenwärtig, in den Straßen, wo sie aufgewachsen war. Sie erzählte mir oft von nächtlichen Bombenangriffen, von ihren Eltern, die von der Brandwache erschöpft waren, von Häusern in vertrauten Straßen, die plötzlich zu Schutt und Asche wurden, von Menschen, die plötzlich verschwanden, von Nachrichten über Söhne, die an der Front gefallen waren. Was verstanden wir schon vom Bösen oder von den Ausmaßen menschlicher Zerstörungskraft? Ich selbst kannte vom Krieg nur den Luftschutzbunker am Ende unseres Gartens, einen dicken, gedrungenen Kasten, den ich als Kind zu meinem eigenen kleinen Haus gemacht hatte. Damals standen dort noch die Reihen Marmeladengläser und die vergammelten Feldbetten von 1943. »Für uns ist es leicht, von Liebe zu sprechen«, sagte ich zu Helen. »Aber was ist mit dem Krieg?«
    Jamila sprang verärgert auf. »Warum reden wir über den Krieg, Karim?«
    »Es ist wichtig, er ist -«
    »Du Idiot. Bitte -« Und sie sah Mum flehentlich an. »Wir sind aus einem bestimmten Grund hergekommen. Warum spannt ihr mich so lange auf die Folter? Laßt uns mit der Beratung anfangen.«
    Mum zeigte auf die Wand zum angrenzenden Zimmer und sagte: »Mit ihm?«
    Jamila nickte und biß sich auf die Fingernägel. Mum lachte bitter.
    »Er kommt doch nicht einmal mit sich selbst zurecht.«
    »Es war Karims Idee«, sagte Jamila und rauschte aus dem Zimmer.
    »Daß ich nicht lache«, sagte Mum. »Warum tust du ihr das an? Warum machst du nicht etwas Nützliches, warum putzt du nicht zum Beispiel die Küche? Warum gehst du nicht und liest in einem deiner Schulbücher? Warum machst du nichts, das dich ein bißchen weiterbringt, Karim?«
    »Werd bloß nicht hysterisch«, sagte ich zu Mum.
    »Warum nicht?« antwortete sie.
    Als wir in sein Zimmer kamen, lag Gott auf dem Bett und hörte Musik aus dem Radio. Er sah Helen wohlwollend an und zwinkerte mir zu. Sie gefiel ihm, aber er war sowieso schon froh, wenn ich überhaupt mit jemandem ausging, der kein Junge oder Inder war. »Warum willst du mit diesen Moslems ausgehen?« hatte er mich einmal gefragt, als ich eine von Jamilas pakistanischen Freundinnen mit nach Hause brachte. »Warum nicht?« fragte ich. »Zu viele Probleme«, sagte er

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