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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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hilfsbereit und objektiv sein würde, war Eva. Aber sie durfte ich eigentlich nicht mögen, weil durch ihre Liebe zu meinem Vater unsere ganze Familie im Arsch war. Trotzdem war Eva der einzige vernünftige erwachsene Mensch. Mittlerweile wußte ich ja, daß ich Anwar und Jeeta von meiner Liste der Normalen streichen konnte. Es war zumindest seltsam, daß Onkel Anwar sich wie ein Moslem benahm. Ich hatte es bei ihm vorher nie erlebt, daß er an irgend etwas glaubte, daher war ich ziemlich erstaunt, daß er für das Prinzip absoluter patriarchaler Autorität buchstäblich sein Leben aufs Spiel setzte. Aufgrund der standhaften und nachsichtigen Liebe ihrer Mutter plus ihrer eigenen außergewöhnlichen Phantasie, die im verborgenen blühte, vor allem aber durch Anwars Gleichgültigkeit hatte sich Jamila Sachen erlauben können, von denen ihre weißen Gleichaltrigen nur träumen konnten. Sie hatte jahrelang geraucht, getrunken, getanzt und sexuellen Verkehr gehabt; erleichtert wurde ihr dieses Leben durch die Feuertreppe vor ihrem Schlafzimmer und die Tatsache, daß ihre Eltern abends immer so kaputt waren, daß sie wie Mumien schliefen.
    Vielleicht gab es gewisse Parallelen zwischen dem, was die Entdeckung der östlichen Philosophie bei Dad bewirkte, und dem letzten Aufbegehren von Anwar. Möglicherweise machten sich bei ihnen die besonderen Bedingungen ihres Lebens als Immigranten bemerkbar. Jahrelang hatte es sie glücklich gemacht, wie die Engländer zu leben. Anwar verdrückte manchmal sogar Schweinefleischpasteten, wenn Jeeta gerade mal nicht hinsah. (Mein Dad hat Schweinefleisch allerdings nie angerührt, aber ich bin mir sicher, daß dies mehr mit Gewohnheit als mit religiösen Bedenken zu tun hatte, so wie ich schließlich auch keine Pferdehoden essen würde. Um ihn auf die Probe zu stellen, bot ich ihm einmal Speckchips an und sagte, als er gierig hineinbiß: »Ich wußte gar nicht, daß du geräucherten Speck magst«, und er sprintete ins Badezimmer, wusch sich den Mund mit Seife aus und schrie mit Schaum vor den Lippen, daß er dafür in der Hölle schmoren müsse.)
    Jetzt, wo sie älter geworden waren und hier ihre Heimat gefunden zu haben schienen, sah es so aus, als würden Anwar und Dad innerlich nach Indien zurückkehren oder sich zumindest doch dem englischen Einfluß widersetzen wollen. Es war schon eigenartig: Keiner äußerte den Wunsch, sein Heimatland tatsächlich wiederzusehen. »Indien ist ein beschissenes Land«, knurrte Anwar. »Warum sollte ich da wieder hingehen? Es ist dreckig und heiß, und will man es dort zu etwas bringen, kostet das verdammt viel Nerven. Wenn ich irgendwohin gehen wollte, dann höchstens nach Florida oder nach Las Vegas in die Spielhöllen.« Und mein Vater war mit dem, was bei uns geschah, viel zu beschäftigt, um an eine Rückkehr zu denken.
    Ich ließ mir das alles durch den Kopf gehen, während ich mit dem Fahrrad herumfuhr. Plötzlich glaubte ich meinen Vater zu sehen. Da in unserer Gegend von London nur wenige Asiaten lebten, konnte es eigentlich niemand anderer sein, aber der größte Teil seines Gesichts war von einem Schal verdeckt, und er sah aus wie ein nervöser Bankräuber, der keine Bank finden konnte. Ich stieg vom Fahrrad. Ich befand mich in der Bromley High Street, neben der Gedenktafel, auf der zu lesen war: »H. G. Wells wurde hier geboren.«
    Die Gestalt mit dem Schal stand auf der anderen Straßenseite, inmitten von einkaufenden Menschen. In unserem Bezirk waren sie alle fanatische Einkäufer. Einkäufen war für sie das, was für die Brasilianer Rumba und Gesang ist. An den Samstagnachmittagen, wenn sich eine träge Masse aus weißen Gesichtern durch die Straßen wälzte, feierten sie den Karneval des Konsums und rissen die Waren aus den Regalen. Und jedes Jahr nach Weihnachten, wenn der Schlußverkauf anfing, lag da eine Reihe von mindestens zwanzig Idioten, eingewickelt in Decken auf Liegestühlen zwei Tage lang in der Winterkälte und wartete darauf, daß die großen Kaufhäuser aufmachten.
    Dad hätte sich normalerweise nicht in einen solchen Wahnsinnstrubel begeben, aber da stand er, dieser grauhaarige Mann, kaum größer als fünf Fuß, und ging in eine Telefonzelle, obwohl in unserem Flur ein funktionierendes Telefon stand. Ich merkte, daß er noch nie ein öffentliches Telefon benutzt hatte. Er setzte sich die Brille auf und las die Bedienungshinweise mehrmals durch, bevor er einen Stapel Münzen auf dem Apparat ablegte und wählte. Als er

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