Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
Vom Netzwerk:
solche Angst habe. Weil sie so sehr darunter leiden wird. Weil ich ihr nicht in die Augen sehen kann, wenn ich es ihr sage. Weil ihr alle so darunter leiden werdet, und ich lieber selbst leiden würde, als euch etwas anzutun.«
    »Also bleibst du bei Allie, mir und Mum?«
    Einige Minuten lang antwortete er nicht. Und selbst danach gab er sich gar nicht erst mit Worten ab. Er packte mich, zog mich in seine Arme und fing an, mich abzuküssen, auf die Backen, die Nase, die Stirn und die Haare. Es war verrückt. Ich hätte fast mein Fahrrad fallen lassen. Passanten schreckten zusammen. Jemand sagte: »Kletter lieber wieder in deine Rikscha.« Der Tag ging langsam zu Ende, und ich hatte immer noch keinen Tee gekauft. Außerdem lief im Radio eine Sendung mit Alan Freeman über die Geschichte der Kinks, die ich mir anhören wollte. Ich machte mich von Dad frei und begann zu laufen, mein Fahrrad schob ich neben mir her.
    »Warte einen Moment!« rief er.
    Ich drehte mich um. »Was gibt’s, Dad?«
    »Ist das hier die richtige Bushaltestelle?«
    Diese Unterhaltung mit Dad war schon seltsam, denn als ich ihn später zu Hause traf, oder wenn ich ihm in den nächsten Tagen über den Weg lief, benahm er sich, als wenn sie nie stattgefunden hätte, als hätte er mir nicht erzählt, daß er in jemand anderen verliebt war.
    Jeden Tag nach der Schule rief ich Jamila an, und jeden Tag war die Antwort auf meine Frage: »Wie steht s?« die gleiche: »Unverändert, Milchgesicht«, oder: »Unverändert, nur schlimmer.« Wir beschlossen, nach der Schule in der Bromley High Street eine Krisensitzung abzuhalten, auf der wir entscheiden würden, was zu tun sei.
    Aber als ich an diesem Tag mit ein paar Jungs aus der Schule kam, sah ich Helen. Das über raschte mich, denn seit ich von ihrem Hund gevögelt worden war, hatte ich kaum mehr an sie gedacht. Dieser Vorfall hatte sich in meinen Gedanken mit Helen verknüpft: Sie und Hundeschwanz gehörten irgendwie zusammen. Jetzt stand sie mit einem schwarzen Schlapphut und einem langen, grünen Mantel vor meiner Schule und wartete auf einen Typen. Als sie mich entdeckte, lief sie auf mich zu und küßte mich. Ich wurde in letzter Zeit oft geküßt: Und ich hatte jede Form von Zuneigung bitter nötig. Jeder hätte mich küssen können, und ich hätte sie oder ihn interessiert zurückgeküßt. Die Jungs waren aus der Clique, mit der ich immer zusammen war. Sie trugen stinkende filzige Haarmähnen bis auf die Schultern und verrottende Schuljacken, keine Schlipse, aber Hosen mit Schlag. In letzter Zeit war in der Schule ein bißchen Stoff im Umlauf gewesen, und einige Jungs waren auf dem Trip. Ich hatte morgens beim Schulgebet eine halbe Tablette eingeworfen, aber die Wirkung hatte inzwischen nachgelassen. Ein paar Jungs tauschten Platten aus, Traffic und The Faces. Ich verhandelte gerade wegen einer Jimi-Hendrix-Platte - »Axis: Bold as Love« - mit einem Typen, der total scharf auf die Knete war, weil er zu einem Emerson, Lake and Palmer-Konzert in der Fairfield Hall gehen wollte. Ich fürchtete, daß dieser Narr so verzweifelt hinter der Kohle her war, daß er die Macken und Kratzer auf seiner Scheibe mit schwarzer Schuhcreme überschmiert hatte, und untersuchte deshalb die Rillen mit einem Vergrößerungsglas.
    Einer der Jungs war Charlie, der sich zum erstenmal seit Wochen wieder dazu herabgelassen hatte, zur Schule zu kommen. Seine silbernen Haare und seine Plateausohlen hoben ihn von der übrigen Meute ab. Er sah nicht mehr so lieblich und poetisch aus wie früher; sein Gesicht war härter geworden, die Haare kürzer, die Wangenknochen traten schärfer vor. Ich wußte, das war Bowies Einfluß. Bowie, der damals noch David Jones hieß, war vor einigen Jahren auf unsere Schule gegangen, und im Speisesaal konnte man auf einem Gruppenfoto sein Gesicht erkennen. Oft sah man Jungs vor dieser Ikone auf den Knien liegen und beten, daß sie Popstars würden, und daß ihnen ein Leben als Automechaniker, Angestellte in einer Versicherungsfirma oder als Junior-Architekten erspart bliebe. Aber abgesehen von Charlie machte sich keiner von uns große Illusionen; in uns war nur eine Mischung aus elenden Aussichten und wilden Hoffnungen. Und ich, ich hatte nur wilde Hoffnungen.
    Charlie ignorierte mich, genauso wie er beinahe alle seine Freunde ignorierte, seit er nach einem Open-Air-Konzert auf dem Bezirksfußballplatz auf der Titelseite der »Bromley and Kentish Times« erschienen war, zusammen mit seiner Band

Weitere Kostenlose Bücher