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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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ständig um meinen Rat. Menschen fragen mich um Rat und sollten lieber versuchen zu begreifen, was eigentlich geschieht.«
    »Danke für die Blumen«, sagte Jamila.
    Es war Mitternacht, als wir sie zurückbrachten. Sie ging mit gesenktem Kopf ins Haus. Ich fragte sie, ob sie ihre Entscheidung getroffen hätte.
    »Ja. Natürlich«, sagte sie und begann die Treppen zu der Wohnung hochzusteigen, in der ihre Eltern und Folterknechte in getrennten Zimmern lagen, der Vater, der versuchte zu sterben, und die Mutter, die ohne Zweifel den Tod herbeiwünschte. Der Zähler für das Licht im Flur tickte laut. Helen und ich starrten im trüben Zwielicht in Jamilas Gesicht und suchten nach einem Hinweis darauf, wozu sie sich entschlossen hatte.
    Helen meinte, Jamila würde den Jungen heiraten. Ich meinte, sie würde ihn zurückweisen. Aber wir waren uns beide nicht sicher.
    Helen und ich kletterten am Anerley Park über den Zaun und legten uns neben den Schaukeln auf dem Rücken ins Gras; wir sahen in den Himmel und zogen uns aus. Es war ein guter Fick, nur zu hastig, weil Pelzrücken sich sonst Sorgen machen würde. Ich fragte mich, ob wir wohl beide an Charlie dachten, als wir es taten.
     

Kapitel sechs

    Der Mann, der sich England, unseren neugierigen Augen und dem warmen Wintermantel näherte, den ich in meinen Händen hielt, war nicht der Schriftsteller Flaubert, obwohl er einen ähnlich grauen Schnauzbart, zwei Doppelkinne und nicht viel Haare hatte. Nicht-Flaubert war kleiner als ich, er hatte etwa die Größe von Prinzessin Jeeta. Doch im Unterschied zu ihr - auch wenn ihre Figur wegen des geräumigen salwar kamiz nur schwer auszumachen war - trug Changez einen dicken Bauch vor sich her, über den sich ein dunkler, roter, in Rippen gestrickter Pullover spannte. Das Haar, das Gott ihm gelassen hatte, wuchs spärlich, trocken und vertikal, als kämmte er es sich jeden Morgen in die Stirn. Mit seiner gesunden Hand stieß er einen Gepäckwagen vor sich her, der mit zwei vergammelten Koffern beladen war, die nur durch einen dünnen Bindfaden und eine Schlafanzugskordel vor der sofortigen Auflösung bewahrt wurden.
    Als Nicht-Flaubert den Namen entdeckte, den ich auf ein Stück Pappkarton geschrieben hatte, hörte er einfach auf, den Gepäckwagen zu schieben, ließ ihn dort im Gedränge der Flughafenmenge stehen und ging auf Jeeta und seine zukünftige Frau, Jamila, zu.
    Helen hatte sich bereit erklärt, uns an diesem Tag der Tage zu helfen. Wir beide retteten den Gepäckwagen und schwankten unter dem Gewicht, als wir Changez’ Plunder in
    den Kofferraum des großen Rovers luden. Helen wollte nicht richtig zupacken, weil sie Angst hatte, es könnten Mücken aus den Koffern herausfliegen und sie mit Malaria anstecken. Nicht-Flaubert stand neben uns und stieg erst in den Wagen, als ich, nachdem er mit einem königlichen Nicken seinen Segen dazu gegeben hatte, den Kofferraum schloß und seine heiligen Gepäckstücke somit vor dem Zugriff von Banditen und Gangstern geschützt waren. »Wahrscheinlich ist er Diener gewöhnt«, sagte ich laut zu Helen, als ich ihm die Tür aufhielt, damit er sich neben Jeeta und Jamila schieben konnte. Helen und ich stiegen vorne ein. Für mich war es ein Augenblick köstlicher Rache, denn der Rover gehörte Helens Dad, dem Pelzrücken. Wenn er gewußt hätte, daß vier Pakis ihre dunklen Ärsche in die tiefen Ledersitze seines Wagens drückten, mit seiner Tochter am Steuer, die erst kürzlich von einem von ihnen gevögelt worden war, dann wäre er bestimmt kein zufriedener Mann mehr gewesen.
    Die eigentliche Hochzeit sollte am nächsten Tag stattfinden, und Changez und Jamila würden danach für einige Nächte im Ritz wohnen. Heute gab es eine kleine Party, um Changez in England willkommen zu heißen.
    Anwar stand unruhig am Fenster des Kaufhauses Paradies, als der Rover in die Straße einbog und vor der Bücherei hielt. Er hatte sich sogar einen anderen Anzug angezogen: statt dem Ding aus den frühen Fünfzigern, das er sonst anhatte, trug er jetzt ein Etwas aus den späten Fünfzigern. Der Anzug war überall mit Nadeln abgesteckt und umgeschlagen, denn Anwar war knochendürr geworden. Seine Nase und seine Wangenknochen stachen so stark wie nie aus seinem Gesicht hervor, und er war sogar noch blasser als Helen, so blaß, daß ihn wirklich niemand mehr einen Darkie oder einen schwarzen Teufel nennen konnte, obwohl das Wort Teufel vielleicht gar nicht so falsch war. Er fühlte sich schwach und hatte

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