Der Buddha aus der Vorstadt
Inder sah, der von seiner Frau und seinen Kindern fortgelaufen war, zeigten ihm die Kollegen, wie sehr sie ihn verachteten: Hinter seinem Rücken und sogar vor seinen Augen machte man sich über ihn lustig. Auf sein Bild in der Zeitung malte jemand eine Sprechblase, die aus seinem Mund aufstieg: »Das dunkle Geheimnis des Lebens von dunklem Scharlatan gelöst - auf Kosten der Steuerzahler.« Dad sprach davon, seinen Job aufzugeben. Eva sagte, er könne machen, was er wolle; sie würde für uns beide sorgen - mit Liebe vermutlich.
Ich glaube nicht, daß Ted mit Tante Jean über diese Probleme sprach oder daß er ihr von dem anderen verliebten Geplänkel erzählte - von Eva zum Beispiel, wenn sie das Seufzen und Stöhnen, die zahlreichen Schnaub- und Grunzlaute imit ierte, die Dads Reden durchzogen. Ted und ich überraschten sie einmal in der ausgeräumten Küche, als sie, wie eine stolze Mutter, die die ersten Worte ihres Kindes nachspricht, eine Symphonie seiner Geräusche von sich gab. Dad und Eva konnten sich stundenlang über die alltäglichsten Dinge unterhalten, zum Beispiel über den Charakter der Menschen, die Dad im Zug traf, bis ich sie anschreien mußte: »Wovon zum Teufel redet ihr eigentlich?« Sie waren voneinander so gebannt, daß sie mich ganz überrascht ansahen. Ich schätze, es war ihnen ziemlich egal, worüber sie sprachen; die Worte selbst waren wie ein Streicheln, ein Austausch von Blumen und Küssen. Und Eva konnte nicht aus dem Haus gehen, ohne beim Heimkommen zu sagen: »Hey, Haroon, ich habe etwas gefunden, das dir gefallen könnte«, - ein Buch über japanische Gärten, einen Seidenschal, ein Füllfederhalter von Waterman, eine Platte von Ella Fitzgerald oder einmal sogar einen Drachen. Während ich dies beobachtete, entwickelte ich meine eigenen, wütenden Theorien über die Liebe. Mußte Liebe nicht edelmütiger sein als dieser muntere Egoismus-à-deux? Unter ihren Händen schien die Liebe ein engstirniges, exklusives, selbstsüchtiges Ungeheuer zu werden, das sich auf Kosten einer Frau vergnügte, die im selben Moment in Tante Jeans Haus lag und auf deren Leben niemand Rücksicht nahm. Murns Unglück war der Preis, den Dad für sein Glück zu zahlen bereit war. Wie konnte er das nur wollen?
Ihr Unglück, das muß man ihm allerdings lassen, lag ihm schwer auf der Seele. Er stritt sich mit Eva darüber: Sie hielt ihn für zu nachsichtig. Aber wie hätte er sich, wenn man ehrlich war, anders verhalten können? Es gab Situationen, wenn wir fernsahen oder bei Tisch saßen, da schlugen Wellen der Reue über seinem Gesicht zusammen. Reue und Schuldgefühl und Schmerz überwältigten ihn einfach. Wie schlecht er mit Mum umgegangen sei, sagte er uns. Wieviel sie ihm gegeben, wie sehr sie für ihn gesorgt, ihn geliebt hatte, und jetzt saß er hier mit Eva in ihrem Haus, und alles sei so behaglich und bequem, und er freue sich auf das Bett.
»Ich fühl mich wie ein Verbrecher«, gestand er Eva in einem achtlosen Augenblick und ließ damit die unselige Wahrheit doch ans Licht kommen. »Weißt du, wie jemand, der einen Menschen schwer verletzt hat, um an sein Geld heranzukommen.« Eva konnte sich nicht länger beherrschen und schrie ihn an. Er verstand nicht, womit er sie so plötzlich und grausam verletzt hatte. Sie war unvernünftig. »Aber du willst sie ja nicht! Ihr habt nicht zusammengepaßt! Ihr habt euch gegenseitig in eurer Entwicklung gehemmt. Warst du nicht lange genug mit ihr zusammen, um das zu begreifen?«
»Ich hätte mehr tun können«, sagte er. »Hätte mich mehr anstrengen können. So verletzt zu werden, hat sie nicht verdient. Ich halte nichts von Menschen, die einen Menschen einfach verlassen.«
»Dieses Schuldgefühl, dieses Bedauern wird uns noch umbringen!«
»Es ist ein Teil von mir -«
»Du mußt es loswerden, ich flehe dich an.«
Aber wie konnte er es loswerden? Es lag auf ihm wie Wasser auf einem Wellblechdach, und Tag für Tag rostete und verrottete es weiter. Und obwohl er nie wieder eine solch arglose Bemerkung machte, obwohl Eva und Dad immer noch ständig Lust hatten, miteinander zu schlafen und ich Eva dabei überraschte, wie sie kicherte und idiotische Sachen mit ihm anstellte, ihm zum Beispiel mit einer riesengroßen Schere die Härchen aus Ohr und Nase schnitt, warf er ihr dennoch Blicke zu, die seiner aufmerksamen Kontrolle entgangen waren, Blicke, die mich glauben ließen, daß er nur zu einem korrumpierten Glück fähig war. Vielleicht war es die Hoffnung
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