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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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nach seinem Talent. Dad zeichnete ihm Karten für das Unbewußte, schlug ihm Wege und Geschwindigkeiten vor, die Kleider für die Reise, und er sagte ihm, wie er am Steuer sitzen solle, wenn er sich dem bedrohlichen Inneren näherte. Und Tag für Tag, unter dem Vollmond hoher Erwartungen, bemühte sich Charlie, seiner Seele einen Splitter des Schönen abzugewinnen - in meinen Augen (und zu meiner Erleichterung) vergebens. Die Songs waren immer noch beschissen.
    Ich brauchte einige Zeit, um dies zu begreifen, denn Charlie bedeutete mir immer noch so viel, daß ich nicht mit kühlem Kopf über ihn nachdenken konnte. Aber als ich seine Schwäche erkannt hatte - seine Sehnsucht, einem Verein namens Genius beizutreten -, wußte ich, daß ich ihn in der Hand hatte. Wenn ich wollte, konnte ich mich jetzt an ihm rächen, was zwar armselig war, aber auch bezeichnend für mein eigenes, zielloses Leben.
    Manchmal erzählte ich Eva, daß ich gern Fotograf oder Schauspieler wäre, vielleicht auch Journalist, am liebsten Ausländskorrespondent in Kriegsgebieten, Kambodscha zum Beispiel oder Belfast. Ich wußte, daß ich Vorgesetzte ebenso haßte wie das Gefühl, herumkommandiert zu werden. Ich arbeitete gern mit Ted und Eva zusammen, und sie ließen mich mehr oder weniger kommen und gehen, wie es mir paßte. Aber mein Traum war es, von Mustn’t Grumble als Rhythmusgitarrist aufgenommen zu werden. Immerhin konnte ich sogar ein bißchen spielen. Als ich Charlie einen entsprechenden Vorschlag machte, erstickte er fast vor Lachen. »Aber es gibt da einen Job, der ist genau das Richtige für dich.«
    »Ja? Was für einer?«
    »Fang am Samstag an«, sagte er.
    Und er besorgte mir einen Job als Aushilfs-Roadie bei Mustn’t Grumble. Ich hatte immer noch nichts erreicht, aber ich war in einer guten Position, um an Charlie heranzukommen, wenn die Zeit dafür reif war.
    Und eines Abends war sie reif. Es war nach seinem Auftritt in einem Kunst-College, als ich die Instrumente zurück zum Lkw schleppte. Ich hatte gehört, wie Dad und Eva in der Bar
    den Abend analysierten, als hätten sie Miles Davis’ Abschiedskonzert gehört. Charlie schlenderte an mir vorbei, seinen Arm um ein Mädchen geschlungen, dem die Titten heraushingen, und um sie zum Lachen zu bringen, sagte er: »Mach Dampf, Karim, mein Süßer. Bring mir mein Acid in den Umkleideraum und komm mir ja nicht zu spät.« »Warum die Eile*?« fragte ich. »Du kommst nirgendwo zu spät - weder als Mitglied deiner Band noch als Mensch.« Er sah mich unsicher an, strich sich wie immer über sein Haar und war sich nicht ganz im klaren, ob ich vielleicht nur Spaß machte. »Was soll das heißen?«
    Da hatte ich ihn also. Er war mir direkt vor die Flinte gelaufen.
    »Was das heißen soll?«
    »Ja«, sagte er.
    »Um etwas zu erreichen, muß man talentiert sein, Charlie. Man muß es hier oben haben.« Ich tippte mir gegen die Stirn. »Und allem Anschein nach hat so ein Hintertürensteher wie du hier oben nicht genug. Du bist ein Blender, einer, bei dem man zweimal hinsieht, zugegeben. Aber deine Leistung haut mich nicht gerade um, und mich muß etwas umhauen. Du kennst mich. Ich muß wahnsinnig beeindruckt sein. Und ich bin nicht wahnsinnig beeindruckt. Überhaupt nicht.«
    Er sah mich nachdenklich an. Das Mädchen zerrte an seinem Arm. Schließlich sagte er: »Ich weiß nicht. Aber ich lös die Band sowieso auf. Was du gesagt hast, hat sich erledigt.« Charlie drehte sich um und ging. Am nächsten Tag war er verschwunden. Es gab keine Auftritte mehr. Dad und ich packten seine Sachen zu Ende.
    Im Bett, ehe ich einschlief, stellte ich mir London vor und malte mir aus, was ich tun würde, wenn die Stadt mir gehörte. London hatte für mich einen besonderen Klang. Es war der Klang von Bongos, auf denen man im Hyde Park spielte; außerdeim war da noch das Keyboard aus »Light my Fire« von den Doors. Dann waren da Kids in Samtmänteln, die ein freies Leben lebten; überall sah man Tausende von Schwarzen, und ich würde kaum noch auffallen; da gab es Buchläden mit Regalen voller Zeitschriften, die ohne Großbuchstaben und ohne Punkte, dieses bourgeoise Ärgernis, gedruckt waren; da gab es Läden, die jede Platte verkauften, nach der man verlangte; da gab es Partys, auf denen einen Mädchen und Jungen, die man nicht kannte, mit nach oben schleppten und vögelten; da gab es jede Droge, die man nur schlucken konnte. Wie man sieht, verlangte ich nicht viel vom Leben; das war das ganze Ausmaß

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