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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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umbringen? Lesen? Fast jede Nacht quälten mich Alpträume und Schweißausbrüche. Es lag einfach daran, daß ich unter dem gleichen Dach schlief, unter dem ich auch meine Kindheit verbracht hatte. Welche Angst vor der Zukunft ich auch hatte, ich würde mit ihr fertigwerden; bei meinem Haß auf die Vergangenheit würde das eine Kleinigkeit sein.
    Endlich begannen die Proben. Ich verabschiedete mich traurig von Mum, verließ Südlondon und lebte wieder einmal bei Dad und Eva. Und jeden Tag lief ich von der Underground zum Probenraum. Abends war ich der letzte, der ging. Mir gefiel die harte Arbeit, und ich liebte es, zur Gruppe zu gehören, mit den übrigen zehn Schauspielern zusammenzusein, mit ihnen in der Kneipe oder im Cafe zu sitzen.
    Shadwell hatte offenbar mehrere Wochenenden auf dem Kontinent verbracht und sich europäisches Theater angesehen. Er wollte ein »physisches« »Jungle Books« inszenieren, das auf Pantomime, Stimmeinsatz und körperlicher Improvisation aufbaute. Requisiten und Kostüme würden minimal sein. Den Dschungel, die Bäume und Sümpfe, die vielen Tiere, die Feuerstätten und Hütten sollten wir durch unsere Körper, durch Bewegungen und Schreie darstellen. Doch die meisten seiner Schauspieler hatten noch nie etwas Ähnliches gemacht. Als wir am ersten Tag zum Aufwärmen fünfmal um den Probenraum joggten, hörte man einige von uns ganz schön keuchen. Eine der Frauen hatte bislang nur beim Radio gearbeitet - als Diskjockey. Einer der anderen Schauspieler, Terry, mit dem ich mich anfreundete, hatte bisher nur Agitprop gemacht; er war mit seiner Gruppe Vanguard und einem Lieferwagen umhergezogen und hatte eine Art Varietestück über den Bergarbeiterstreik von 1972 mit dem Titel »Dig!« gespielt. Und jetzt sollte er Kaa sein, die taube Schlange, berühmt für die ungeheure Kraft ihrer Umarmungen. Und Terry sah wirklich so aus, als könnte er jemanden kräftig umarmen. Er würde das ganze Stück über zischeln und sich durch den Gerüstbogen schwingen, der an den Seiten entlang und über der Bühne aufgebaut worden war. Von diesem Gerüst ließen sich Affen herunterbaumeln und ärgerten den Bär Baloo, der nicht klettern konnte und ständig brummte und grunzte. Terry war Anfang vierzig und hatte ein blasses, hübsches Gesicht - ein ruhiger, offenherziger Kerl aus der walisischen Arbeiterschicht. Er wirkte wie ein Junge. Ich mochte ihn sofort, besonders weil er ein Fitneß-Fanatiker und sein Körper straff und fest war. Ich beschloß, ihn zu verführen, hatte aber keine große Hoffnung auf Erfolg. Erst in der zweiten Woche, bei der Kostümprobe, gerieten Shadwell und ich aneinander. Anfangs verhielten sich alle sehr respektvoll und hörten sich aufmerksam seine eintönigen Erklärungen an. Aber bald wurde er für die meisten zu einer Witzfigur; er war nicht nur pedantisch und gönnerhaft, er bekam auch Angst vor seiner eigenen Courage und lehnte alle Vorschläge allein schon deshalb ab, weil er Angst hatte, eine Änderung könne bedeuten, daß er von Anfang an auf dem falschen Weg gewesen sei. Eines Tages nahm er mich beiseite und überließ mich der Kostümbildnerin, einem nervösen, immer schwarz angezogenen Mädchen. Sie hielt einen gelben Schal und ein Töpfchen mit kackbrauner Creme in der Hand, die sie hinter ihrem Rücken zu verstecken suchte.
    »Dies ist Ihr Kostüm, Mr Mowgli.«
    Ich verrenkte mir den Hals, um zu sehen, was sie in ihrer Hand verbarg.
    »Wo ist es denn?«
    »Ziehen Sie sich bitte aus.«
    Es stellte sich heraus, daß ich auf der Bühne einen Lendenschurz und braunes Make-up tragen sollte. Darin sah ich aus wie ein längliches Stück Scheiße in einem Bikini-Unterteil. Ich zog mich aus. »Bitte tun Sie mir das nicht an«, sagte ich fröstelnd. »Geht nicht anders«, sagte sie. »Seien Sie tapfer.« Während sie mich von Kopf bis Fuß mit dieser braunen Matsche beschmierte, dachte ich an Julien Sorel in »Rot und Schwarz«, der seinem Ehrgeiz zuliebe manches über sich ergehen ließ, der oft in seinem Stolz verletzt wurde, ohne daß dies seinem Selbstbewußtsein etwas anhaben konnte. Also hielt auch ich meinen Mund, während ihre Hände mich langsam in einen Dreckklumpen verwandelten.
    Einige Tage später fragte ich Shadwell, ob er eine Möglichkeit sähe, daß ich mein Debüt als professioneller Schauspieler machen könnte, ohne mich mit Scheiße zu bedecken.
    Shadwell war auf einmal ganz kurz angebunden: »Das ist dein verdammtes Kostüm! Was hast du denn gedacht, als

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