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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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die übrigen Schauspieler, weil sie sich nicht für mich eingesetzt hatten, und weil sie sich später, als ich schließlich meinen Text sprach, über den Akzent lustig machten. Terry stand von seinem Tisch auf und gesellte sich zu mir.
    »Komm schon«, sagte er. »Trink noch einen. Nimm’s nicht so schwer, Schauspieler sind doch immer beschissen dran.« »Schauspieler sind beschissen dran« war sein Lieblingsausdruck. Ständig und überall schienen die Schauspieler »beschissen dran« zu sein, man mußte einfach damit leben, meinte er, jedenfalls solange die momentane Ungerechtigkeit fortdauerte.
    Ich fragte ihn, ob jemand wie Shitwell - so nannten wir ihn unter uns - mich auch noch nach der Revolution herumkommandieren würde, ob es dann überhaupt noch Regisseure gäbe, oder ob wir alle mal an die Reihe kämen und den anderen befehlen könnten, wo sie zu stehen und wie sie sich anzuziehen hätten. Offenbar hatte Terry noch nie darüber nachgedacht, er geriet ins Grübeln, starrte in sein Bier und in eine Tüte mit Räucherspeckchips.
    »Es wird immer einen Regisseur geben«, antwortete er schließlich. »Glaube ich. Aber er wird von den Schauspielern gewählt werden. Wenn er der Gruppe auf den Geist geht, dann wirft sie ihn raus und schickt ihn wieder in die Fabrik, wo er herkam.«
    »Fabrik? Wie wollen wir jemals Leute wie Shadwell in die Fabrik stecken?«
    Terry sah jetzt ziemlich verwirrt aus; er schien ins Schleudern zu kommen.
    »Man wird sie dazu zwingen.«
    »Ach so. Mit Gewalt vielleicht?«
    »Warum sollen denn immer dieselben Menschen die Drecksarbeit machen? Mir gefällt es nicht, wenn jemand Leuten befiehlt, eine Arbeit zu machen, die er selbst nicht anrühren würde.«
    Ich mochte Terry, wie ich schon lange niemanden mehr gemocht hatte, und wir unterhielten uns täglich miteinander. Aber er war überzeugt, daß die Arbeiterklasse - von der er sprach, als wäre sie ein einziger, zielstrebiger Mensch - ein paar Dinge anstellen würde, die ich für reichlich unwahrscheinlich hielt. »Die Arbeiterklasse wird mit diesen Schweinen leicht fertig«, sagte er über rassistische Organisationen. »Die Arbeiterklasse ist zum Zuschlägen bereit«, meinte er bei anderen Gelegenheiten. »Sie hat genug von dieser Labour Party. Sie will die Veränderung der Gesellschaft, und zwar jetzt!« Seine Sprüche ließen mich an die Siedlungen bei Mums Haus denken, wo die »Arbeiterklasse« Terry ins Gesicht gelacht hätte - jedenfalls die Arbeiter, die ihm nicht sowieso gleich eine scheuern würden, weil er sie »Arbeiterklasse« genannt hatte. Ich wollte ihm sagen, daß das Proletariat der Vorstädte ein ziemlich starkes Klassenbewußtsein habe. Es war ein bösartiges und haßerfülltes Bewußtsein, das sich ausschließlich gegen die richtete, die gesellschaftlich direkt unter ihm standen. Aber bei manchen Themen war es sinnlos, mit Terry reden zu wollen. Ich dachte mir, daß er sich in meine Auseinandersetzung mit Shadwell nicht eingemischt hatte, weil er wollte, daß sich die Situation noch weiter verschlechtere. Terry hielt nichts von Sozialarbeitern, linken Politikern, radikalen Rechtsanwälten, Liberalen oder von Reformen. Es war ihm lieber, die Dinge entwickelten sich zum schlechteren, und wenn sie dann auf ihrem Tiefpunkt angelangt waren, würde es eine radikale Veränderung der Verhältnisse geben. Wenn die Situation sich verbessern sollte, mußte sie sich folglich also erst einmal verschlechtern; je beschissener es aussah, um so besser würde es in Zukunft sein; andersrum konnte es nicht einmal ansatzweise besser werden, solange es nicht ganz dramatisch bergab gegangen war. So jedenfalls verstand ich seine Beweisführung. Er hatte mich auch schon mehrere Male aufgefordert, der Partei beizutreten. Ich solle mich ihr anschließen, meinte er, um zu beweisen, daß an meinem Engagement für eine Beendigung der Ungerechtigkeit auch was dran sei. Ich sagte ihm, ich würde mit Vergnügen beitreten, aber unter einer Bedingung: Er müsse mich küssen. Damit, sagte ich, würde er seine Bereitschaft zeigen, die angeborene bürgerliche Moral überwinden zu wollen. Aber er antwortete, gegenwärtig sei ich vielleicht doch noch nicht so weit, Mitglied der Partei zu werden Terrys leidenschaftliches Eintreten für Gleichheit entsprach meinem Sinn für klare Verhältnisse, und sein Haß auf bestehende Autoritäten kam meinen eigenen Ressentiments entgegen. Aber wenn ich auch Ungleichheit haßte, so hieß das noch lange nicht, daß ich

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