Der Buddha aus der Vorstadt
Gesten mit ihrer Faust. Finstere Schatten des Abscheus, des Schmerzes und der Ablehnung zogen über sein Gesicht. Einmal drehte sich Eva zu mir um und zeigte auf mich, als wollte sie ihn zur Verantwortung ziehen für etwas, das er mir angetan hatte. Shadwell hatte sie offenbar enttäuscht. Doch ich wußte, daß ihn nichts in der Welt entmutigen würde; er würde nie aufgeben, ein Regisseur sein zu wollen, und er würde nie ein guter Regisseur sein.
Das war alles. Keiner von ihnen sagte je wieder ein Wort über »The Jungle Books«, als ob sie nicht bereit wären, mich als Schauspieler zu akzeptieren, und es vorzogen, mich in meiner alten Rolle als nutzlosen Schuljungen zu sehen. Doch das Stück kam gut an, besonders in den Schulen, und ich begann, mich auf der Bühne lockerer zu bewegen und die Schauspielerei zu genießen. Ich ließ den Akzent sausen und brachte das Publikum zum Lachen, wenn ich zu den unmöglichsten Gelegenheiten in den Cockney-Slang verfiel. »Vergiß es, Bagheera«, sagte ich dann. Mir machte es Spaß, wenn man mich hinterher in der Kneipe wiedererkannte, und ich benahm mich ziemlich auffällig, damit man mich auch sah, falls jemand ein Autogramm von mir haben wollte.
Manchmal sah Shadwell sich die Aufführung an, und eines Tages war er plötzlich nett zu mir. Ich fragte Terry, was los sei. »Ich bin selbst ziemlich überrascht«, meinte der. Dann lud mich Shadwell ins Joe Allen ein und bot mir eine Rolle in seinem nächsten Stück an, Molieres »Der Bürger als Edelmann«. Terry, dessen sanftes Herz mein eigenes so sehr aufgehen ließ, daß ich ihm half, um halb acht Uhr morgens vor den Fabriktoren, vor Streikposten und East-End-Undergroundstationen trotzkistische Zeitungen zu verkaufen, versuchte mir Mut zu machen. »Nimm an«, sagte er. »Wird dir guttun. Ist natürlich Schauspieler-Mist, aber du kannst Erfahrungen sammeln.«
Im Gegensatz zu den anderen Schauspielern - sie waren alle schon viel länger im Geschäft - hatte ich keine Ahnung, welche Rollen ich bekommen konnte. Also nahm ich an. Shadwell und ich umarmten uns. Eva sagte nichts.
»Wie ist es mit Terry?« fragte ich eines Abends. »Hast du für ihn was dabei?«
»Aber ja.«
»Was?«
»Noch nichts Bestimmtes«, sagte er. »Aber ich warte noch auf einen Ruf.«
»Was für einen Ruf?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Karim, doch ganz im Vertrauen, der Ruf wird kommen.«
Als ich ins Theater kam, und Terry und ich uns nebeneinander umzogen, witzelte ich oft: »Na, Terry, schon jemand angerufen? War Peter Brook schon am Apparat?«
Oder einer von uns rannte kurz vor der Vorstellung in die Garderobe, um Terry zu sagen, jemand wolle ihn dringend am Telefon sprechen. Zweimal fiel er darauf rein, rannte halb angezogen aus dem Zimmer und wies jeden an, die Show für einige Minuten zu verschieben. Aber er verlor durch unsere Streiche nicht den Mut. »Eure kindischen Spiele machen mir nichts aus. Ich weiß, daß er irgendwann anrufen wird. Ich bin überhaupt nicht nervös. Ich werde in Ruhe abwarten.«
Eines Abends rief der Leiter des Kartenvorverkaufs aufgeregt in der Garderobe an und sagte, daß der Theaterdirektor Matthew Pyke sich eine Karte für »The Jungle Books« reserviert hätte. In nur fünfzehn Minuten redete das ganze Ensemble - außer mir - von nichts anderem. So ein Geschnatter, so eine Nervosität und Begeisterung hatte ich in den Ankleideräumen noch nie erlebt. Allerdings war mir auch klar, wie wichtig solche Besuche erstklassiger Theaterdirektoren für die Schauspieler waren, die sich ständig Sorgen um ihr nächstes Engagement machten. »The Jungle Books« hatten sie längst vergessen: das gehörte der Vergangenheit an. Jetzt saßen sie hier in dieser winzigen Garderobe, hängten ihre Wäsche über die Heizkörper, aßen biodynamisch und sandten unermüdlich Informationen und mit Weichzeichner aufgenommene Porträtfotos an Intendanten, Theater, Agenten, Fernsehgesellschaften und Produzenten. Und wenn sich ein Regisseur oder Personalchef dazu herabließ, sich ein Stück anzusehen, und wenn er, was selten geschah, bis zum Ende blieb, dann umringten ihn die Schauspieler, spendierten ihm Drinks und brüllten vor Lachen über jedes Wort, das er sagte. Sie sehnten sich danach, ihm im Gedächtnis zu bleiben: Von solchen Erinnerungen konnte das Leben eines Schauspielers abhängen.
Deshalb war Pykes Erscheinen so aufregend. Er war bisher unser wichtigster Besucher. Er besaß sein eigenes Ensemble. Man wandte sich nicht an
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