Der Buddha aus der Vorstadt
zuwarfen. Er war brillant: Er hatte genau die richtigen Zutaten gemischt. Ein wunderbarer Trick, eine herrliche Verkleidung. Der einzige Fehler, sagte ich mir grinsend, waren seine milchweißen, gesunden Zähne, und die verrieten, zumindest in meinen Augen, alles.
Dann gab es Krawall. Flaschen flogen, Fremde prügelten sich, und ein Zahn flog Eva in die Bluse. Ich war von oben bis unten mit Blut bespritzt. Mädchen wurden ohnmächtig; Krankenwagen wurden gerufen. Fisch brachte uns rasch nach draußen.
Ich war nachdenklich, als wir an diesem Abend durch Soho gingen. Eva, in Jeans und Turnschuhen, lief leichtfüßig neben mir her, versuchte, eines von Charlies Liedern zu summen und mit mir Schritt zu halten. Schließlich hakte sie sich bei mir ein. Unsere Beziehung war so locker und entspannt, als wären wir ein Pärchen. Wir sagten nichts; ich nahm an, daß sie über Charlies Zukunft nachdachte. Mir machte der Neid längst nicht so zu schaffen, wie ich erwartet hatte, denn ein anderes Gefühl beherrschte mich viel mehr: Ehrgeiz. Es war noch ungewiß, in welche Richtung er sich entwickeln würde, aber ich war zutiefst beeindruckt von Charlies Verwandlungstrick, davon, wie er an die Tür des Zufalls geklopft, sie sich ihm aufgetan hatte und ihm nun all die guten Sachen in den Schoß fielen. Er konnte sich nehmen, was er wollte. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich unfähig gefühlt, in dieser Welt erfolgreich zu sein; ich wußte nicht, wie ich es anstellen sollte; ich war Spielball der Ereignisse. Doch allmählich wurde mir klar, daß es auch anders gehen konnte. Mein Glück, mein Weiterkommen und meine Erfahrungen konnten von meinen eigenen Handlungen abhängen - solange es die richtige Handlung zur richtigen Zeit war. Mein baldiger Auftritt in »The Jungle Books« nahm sich im Vergleich mit Charlies Triumph bescheiden aus, aber bald würden alle Augen auf mich gerichtet sein. Der Auftritt würde nur ein Anfang sein, und ich fühlte mich stark und fest entschlossen: Der Weg würde nach oben führen.
Als wir in den Wagen stiegen, sah ich Eva an, und sie lächelte zurück. Ich spürte, daß sie überhaupt nicht an Charlie gedacht hatte - höchstens als an eine Art Inspiration - und daß sie, genau wie ich, von dem geträumt hatte, was sie in der Welt tun könnte. Während sie uns nach Hause fuhr, hämmerte Eva auf das Steuer ein und sang und schrie aus dem Fenster hinaus.
»Waren sie nicht großartig, Karim? Ist er nicht ein Star?« »Yeah, yeah!«
»Sie werden wirklich groß rauskommen, Karim, einfach riesig. Charlie wird sich nur von der Gruppe trennen müssen. Er kann seinen Weg auch allein machen, meinst du nicht auch?«
»Yeah, aber was wird dann aus ihnen?«
»Aus den Jungs?« Eva winkte abfällig. »Aber unser Junge ist auf dem Weg nach oben, Karim. Nach oben!« Sie beugte sich zu mir herüber und küßte mich auf die Wange. »Und du bist auf dem gleichen Weg, okay?«
Die Generalprobe für »The Jungle Books« verlief einwandfrei. Alle waren überrascht, wie glatt alles ging; keiner vergaß seinen Text, und auch die Technik funktionierte reibungslos. Also gingen wir voll Selbstvertrauen in unsere erste Voraufführung und damit vors Publikum. Die Kostüme waren witzig, und man applaudierte. Die frechen Affen kreischten schrill, während die Ratsversammlung der Wölfe sich traf, um über die Zukunft des Menschenjungen zu beraten. Aber als Shere Khan mit seiner Hamlet-Geisterstimme aus dem Hintergrund grollte: »Das Junge gehört mir! Gebt es mir! Was hat das freie Volk mit einem Menschenjungen zu schaffen?« hörte ich es über mir krachen. Ganz unprofessionell blickte ich nach oben und sah, wie das Stahlnetz des Gerüsts sich bog, ins Schlingern geriet, wie es schließlich die Bolzen zerriß, das Gerüst auf mich zukam und die Lichter auf den Bühnenboden donnerten. Aus dem Publikum kamen Warnrufe. Die Zuschauer aus den ersten Reihen sprangen auf und liefen aus der Gefahrenzone in den Mittelgang. Wie die anderen Schauspieler, die sich auf der Bühne aufhielten, fiel auch ich aus der Rolle und ins Publikum. Ich landete auf Shadwell, der bereits die Techniker anschrie. Das Stück wurde für diesen Abend abgesagt und das Publikum nach Hause geschickt. Es gab fürchterlichen Stunk, und Shadwell benahm sich wie eine Furie. Zwei weitere Voraufführungen wurden gestrichen. Es würde nur noch eine weitere Voraufführung geben, und dann kam die Premiere.
Natürlich wollte ich Mum und Dad beim ersten Abend
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