Der Buddha aus der Vorstadt
60er Jahre, Fiorucci-Jeans und Lederstiefeln mit (kotz!) schrägen Cowboyabsätzen waren mehrere ältere Männer hinter der Band her, um sie für sich unter Vertrag zu nehmen.
Was war eigentlich mit Charlie seit jener Nacht im Nashville geschehen? Er hatte sich mit den Punks eingelassen und bald erkannt, wie wichtig sie waren und was für eine Renaissance der Musik sie bedeuteten. Er änderte den Namen seiner Band in The Condemned und seinen eigenen Namen in Charlie Hero. Und da die britische Musikszene auf Neuheiten immer scharf war und heute nach weichen Barockklängen, morgen nach wütendem Garagen-Sound verlangte, hatte Charlie Mustn’t Grumble zu einer der heißesten New-Wave- oder Punkbands aufgemotzt.
Evas Sohn wurde pausenlos von den landesweiten Zeitungen, Zeitschriften und Zeichendeutern belagert, die einen Spruch über den neuen Nihilismus, die neue Hoffnungslosigkeit und die neue Musik hören wollten. Hero sollte den Verblüfften, doch keineswegs Uninteressierten die Verzweiflung der Jugendlichen erklären, und er gab seine Erklärungen, indem er die Journalisten anspuckte oder ihnen einfach eine knallte. Er war ein kluges Köpfchen, dieser Charlie; er begriff, daß sein Erfolg und der Erfolg der anderen Bands nur dann garantiert war, wenn er es schaffte, die Presse zu beleidigen. Glücklicherweise hatte Charlie ein Talent für Grausamkeiten. Seine Beleidigungen, ebenso wie seine Angriffe gegen die Hippies, die Liebe, die Königin, Mick Jagger, gegen politisches Engagement und selbst gegen den Punk wurden in großer Aufmachung veröffentlicht. »Wir sind Scheiße«, verkündete er eines Tages in einer Fernsehsendung des Vorabendprogramms. »Können nicht spielen, können nicht singen, können keine Songs schreiben, und das beschissene Volk liebt uns!« Wütende Eltern sollen daraufhin ihre Fernseher eingetreten haben. Ein Foto von Eva erschien sogar im »Daily Mirror« mit der Schlagzeile: »PUNK-MUTTI SAGT: ICH BIN STOLZ AUF MEINEN SOHN!«
Fisch sorgte dafür, daß Charlie in den Nachrichten präsent blieb und sich als bekanntes Gesicht einprägte. Er sorgte außerdem dafür, daß ihre erste Platte, »The Bride of Christ«, in wenigen Wochen auf dem Markt sein würde. Die Band war bereits zu einem öffentlichen Ärgernis geworden, und mit etwas Glück würde man die Platte verreißen und auf den Index setzen, womit die Glaubwürdigkeit der Gruppe und der finanzielle Erfolg gesichert wären. Charlie war auf dem besten Weg zum Ruhm.
An diesem Abend war Fisch so höflich und zuvorkommend wie immer. Er versicherte Eva, daß er und Charlie genau wüßten, was sie hier taten. Doch Eva machte sich Sorgen. Sie küßte Fisch, klammerte sich an seinen Arm und flehte ihn in aller Öffentlichkeit an: »Bitte, bitte, lassen Sie meinen Sohn nicht heroinsüchtig werden. Sie haben keine Ahnung, wie labil er ist.«
Fisch verschaffte uns einen guten Platz im hinteren Teil des Klubs, wo wir auf hölzernen Bierkisten standen und uns gegenseitig festhielten, während der Boden unter der Hitze und dem Gestampfe aufzubrechen schien. Ich fühlte mich, als würde das gesamte Publikum auf mir liegen - dabei war die Band immer noch in der Garderobe.
Sie kamen auf die Bühne. Die Menge tobte. The Condemned hatten alles aus ihrem früheren Leben abgelegt - die Frisur, die Kleider, die Musik. Sie waren nicht wiederzuerkennen.
Und sie waren nervös, fühlten sich noch nicht ganz wohl in ihrem neuen Outfit. Sie rissen ihren Auftritt runter, als nähmen sie an einem Wettkampf teil, bei dem der gewann, der die meistens Songs in kürzester Zeit bringen konnte; dabei klangen sie wie eine ungeübte Version der Band, die Charlie und ich im Nashville gehört hatten. Charlie spielte nicht mehr Rhytmusgitarre, sondern stand am Bühnenrand, umklammerte ein Mikro und jaulte auf die Kids ein, die wie Preßlufthämmer auf- und abhüpften, in die Gegend spuckten und mit Flaschen herumwarfen, bis die Bühne mit Scherben übersät war. Charlie schnitt sich in die Hand. Eva neben mir stöhnte auf und hielt sich die Augen zu. Charlie schmierte sich das Blut ins Gesicht und malte den Baßgitarristen damit an.
Die übrigen Mitglieder von Condemned waren immer noch unbekannte Größen, sozusagen die Angestellten und Beamten des Musikgeschäfts. Aber Charlie war einzigartig in seinem Haß, seiner künstlichen Wut, seinem Zorn, seinem Trotz. Was für eine Ausstrahlung er hatte, welche Bewunderung er auf sich zog, welche Blicke ihm die Mädchen
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