Der buddhistische Mönch
kambodschanischer Ort nahe der thailändischen Grenze, etwa auf dem gleichen Breitengrad wie Angkor Wat. Grobheit und Stumpfheit herrschen dort allüberall, sogar in den Gesichtern der Kinder, von denen die meisten sich prostituieren. Ich habe die berühmten Khmer-Rouge-Generäle in ihren Rollstühlen mit eigenen Augen gesehen. »Waren Sie auch dort, Phra Titanaka?«
»Das ist der Ort, an dem ich ordiniert wurde.«
Er beendet das Gespräch. Ich wähle seine Nummer, die auf dem Display zu sehen ist, ohne große Hoffnung, dass er rangehen wird, doch er tut es.
»Ja?«
»Erzählen Sie mir wenigstens von Kowlovski.«
»Von wem?«
»Dem Mann in Damrongs Film.«
»Ach so, der Maskierte.«
»Sie haben ihn bearbeitet, nicht wahr? Vermutlich mit Kräften der Meditation, die Sie tief in sein Herz blicken ließen. Ohne einen Finger zu krümmen, brachten Sie ihn dazu, Selbstmord zu begehen, stimmt’s?«
Langes Schweigen, dann: »Ich schicke Ihnen die DVD.« Wieder beendet er das Gespräch.
Chanya hat während des Telefonats völlig unbeteiligt getan. Jetzt serviert sie das pia neung menau in einer Terrine. Der Fisch ist perfekt; die Zitronensauce bringt seinen natürlichen Geschmack zur Geltung und hinterlässt ein köstliches Prickeln auf dem Gaumen. Als wir fertig sind mit dem Essen, tätschle ich Chanyas Bauch, froh über die Gelegenheit, glückliche Familie spielen zu können. Plötzlich erscheint mir unser gemietetes Haus mit seinen dünnen Wänden so klein und unser Leben so unsicher. Letztlich wütet der Sturm jedoch nicht draußen, sondern in meinem Kopf.
Als wir im Bett liegen, Chanyas Rücken an meinem Bauch, wandern meine Gedanken zurück zu meiner Geburt. Ich erlebe noch einmal jenen Augenblick hilfloser Panik, als ich hinausgeschleudert wurde; dabei handelt es sich um die vielleicht tiefgreifendste menschliche Erfahrung überhaupt, die immer in uns bleibt, wie ein Türwächter an den Toren zum maya. Ohne jene aus der Klaustrophobie geborene Verzweiflung würden wir den sichersten aller Häfen niemals verlassen; die Erinnerung an die Monate in ozeanischer Ruhe sorgt für eine lebenslange Sehnsucht nach diesem Ort, um die Damrong wusste.
Ich schlafe ein paar Stunden und wache mit folgendem Gedanken auf: das Elefantenspiel. Wer je mit Strafrecht zu tun hatte, kennt den Ausdruck, aber beschäftigt sich ein einfacher kambodschanischer Mönch mit so etwas? Ich schlüpfe vorsichtig aus dem Bett, hole mein Handy heraus und gehe damit in den Hof.
»Das Elefantenspiel«, flüstere ich, als er sich meldet. »Beschreiben Sie es mir.«
Er seufzt. »Das kennen Sie nicht? Ich dachte, alle thailändischen Polizisten wüssten darüber Bescheid. Die Cops rollten eine Kugel aus Bambusstroh, gerade groß genug für einen kleinen, schlanken Menschen wie meinen Vater mit seinen einsdreiundsechzig, in den Hof des Reviers. An der Außenseite befand sich eine Klappe mit Schloss. Die Polizisten holten meinen Vater aus seiner Zelle und fesselten ihn an Händen und Füßen wie ein Schwein, bevor sie ihn in das Bambusding stießen, die Klappe verschlossen und ihn darin eine Weile im Hof herumbugsierten. Dann führten sie einen jungen, vielleicht acht oder neun Jahre alten Elefanten heran und zeigten ihm, wie man die Kugel hin und her kickt. Da begann mein Vater zu schreien. Er war so hartgesotten; ich hätte erwartet, dass er bis zum Ende gelassen bleibt; schließlich hatte er selbst einige Leute umgebracht. Aber er verlor schon beim ersten Stoß die Fassung. Dass er bei jedem Tritt zu kreischen begann, weckte die Neugierde des Tiers. Die Polizisten hatten einen Mordsspaß. Schon bald war der Elefant süchtig nach Fußball. Er kickte die Kugel ein paar Meter, rollte sie mit dem Rüssel und stieß sie wieder mit den Füßen vorwärts. Das ging ungefähr zehn Minuten lang so, bis sie in einer Ecke des Hofs stecken blieb und der Dickhäuter ungeduldig wurde. Den meisten Menschen ist nicht klar, dass Elefanten ziemlich jähzornig sein können. Das Tier dellte die Kugel mit dem Rüssel ein und wollte sie mit dem Fuß zerquetschen, was anfangs nicht gelang, weil sie zu hoch war, aber nach weiteren Rüsselstößen hatte sie nur noch die halbe Größe, und der Dickhäuter schaffte es. Irgendwann hörten die hysterischen Schreie meines Vaters auf, obwohl er nach wie vor am Leben war. Wahrscheinlich hatte der Elefant ihn so schwer verletzt, dass er nicht mehr kreischen konnte. Ein letztes Heulen stieß er hervor, als das Tier ihm ins Kreuz
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