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Der buddhistische Mönch

Der buddhistische Mönch

Titel: Der buddhistische Mönch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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umgeben von denen ihrer Verwandten. Obwohl sie in ihrem Leben bestimmt noch keine Minute städtische Paranoia empfunden hat, schiebt sie ihren eigenen Futon ans andere Ende des Raums, bevor sie mir den meinen zuweist, auf dem ich schon bald einschlummere. Am Morgen reicht sie mir eine Schale mit Reisbrei, ein gebratenes Ei darüber. Ohne ihr zu verraten, dass ich Polizist bin, beginne ich, mich über Damrong und ihre Familie zu erkundigen.
    Natürlich hat sie von Damrongs Tod gehört – das ganze Dorf spricht seit Tagen von nichts anderem. Ich versuche, die Rede auf Damrongs Familie zu bringen. Was sind das für Leute?, frage ich.
    Offenbar steche ich in ein Wespennest. Ich sehe meiner Gastgeberin an, dass sie glaubt, hier seien Magie, Karma, vielleicht auch göttliche Rache im Spiel gewesen. Als ich sie frage, ob sie Kaffee im Haus habe, und meine Brieftasche zücke, um ihr Geld dafür zu geben, versteht sie sofort und fängt an, mir die ganze Geschichte zu erzählen.
    Damrongs Familie, erklärt sie, sei hart. Sie verwendet ein Isaan-Wort, das eine Mischung aus Furcht, Respekt und Zweifel ausdrückt – auch hier auf dem Land kann man es mit der Härte zu weit treiben. Damrongs Vater, ein Gangster, der sich bei seinen mitternächtlichen Überfällen auf Nachbardörfer mit Hexerei und magischen Tätowierungen schützte, starb, als sie ein Teenager war. In jenen Tagen gab es nicht allzu viele Polizisten, und die vorhandenen bewiesen keinen großen Diensteifer. Damrongs Vater brachte insgesamt fünf Menschen um, in Schlägereien oder weil sie ihm auf die Nerven gingen – für gewöhnlich mit einem nach oben geführten Messerstich zwischen die Rippen. Um Damrongs Mutter warb er, indem er sie entführte und drei Tage lang in seinem Haus einsperrte. Ob er sie während dieser Zeit vergewaltigte oder nicht, spielt keine Rolle; hinterher hätte sich sowieso kein anderer Mann mehr für sie interessiert. Allerdings machte es ihr offenbar nicht viel aus, den Gangster zu heiraten, dem sie in puncto Härte in nichts nachstand. Fortan wollte niemand etwas mit ihnen zu tun haben. Ein dunkler Schatten hing über ihnen, und Damrongs gewaltsamer Tod wurde nun in der Gegend als weiteres Kapitel der finsteren Familiengeschichte gedeutet.
    Meine Gastgeberin hält inne in ihrer Schilderung, um mir eine Frage zu stellen. »Sie kennen doch die Tradition, dass während des Fests Kinder unter den Elefanten durchrennen, oder? Nun. ich war dabei, als Damrongs Mutter ihre Tochter dazu zwang. Ich persönlich halte den Brauch für grausam – die Angst mancher Kinder ist so groß, dass sie sie nie wieder loswerden. Stellen Sie sich vor, was es für einen Sechsjährigen bedeuten muss, diese gewaltigen Beine und Füße zu sehen und von der Mutter gesagt zu bekommen, dass man sein Leben aufs Spiel setzen und dazwischen hindurch laufen soll. Elefanten sind nicht die sanften Riesen, als die sie gelten, sondern unberechenbar.«
    »Und wie reagierte Damrong auf die Anweisung ihrer Mutter?«
    »Tja, ich hatte noch nie ein so verängstigtes Kind gesehen. Aber ihre Mutter prügelte sie, so lange, bis die Kleine sich mehr vor dem nächsten Schlag fürchtete als vor dem Elefanten. Irgendwann lief sie dann tatsächlich zwischen seinen Beinen durch. Den Hass in ihren Augen werde ich nie vergessen – nicht auf den Elefanten, sondern auf ihre Mutter. Hinterher blieb sie in einer Art Schockzustand auf der anderen Straßenseite stehen. Was für ein hübsches Mädchen! Schon in dem Alter konnte man sehen, was später aus ihr werden würde. Was blieb ihr anderes übrig?«
    Da hören wir jemanden von unten rufen. Eine der Nachbarinnen, die gemerkt hat, dass ein Fremder hier übernachtet, möchte ihn sich ansehen. »Wir reden gerade über Damrong!«, brüllt meine Gastgeberin hinunter. »Ich komm rauf!«, schallt es zurück.
    Sie ist sehr klein, bestenfalls einsfünfundvierzig, also praktisch eine Zwergin, trägt einen abgewetzten Sarong und hat eine Plastiktüte mit einer grünen, stacheligen Durianfrucht in der Hand, die sie zweifelsohne irgendwo an den Mann bringen möchte. Sie als arm zu bezeichnen, würde bedeuten, die falsche Perspektive einzunehmen; sie gehört eher einem vom Aussterben bedrohten Typus an. Auch heute noch gibt es in Thailand, besonders in Isaan, Menschen wie sie, die im wörtlichen Sinn von den Früchten des Landes leben, Menschen, die den Wald und den Dschungel gut genug kennen, um ohne große Hilfe von außen überleben zu können. Sie hat

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