Der buddhistische Mönch
eine breite, tief gefurchte Stirn und junge, wache Augen unter schweren Lidern. Dieser Frau ist das Wort »Depression« fremd; sie lebt auf einer zutiefst elementaren Ebene und glaubt an Geister.
»Der Herr hat sich gerade nach Damrong erkundigt«, erklärt meine Gastgeberin.
»Ja, natürlich«, meint die Zwergin, nicht im Mindesten überrascht darüber, dass jemand, der aus dem Nichts auftaucht, den Dorfklatsch erfahren möchte. »Wie traurig.«
»Ich hab ihm erzählt, dass sie aus einer harten Familie stammt.«
»Hart?«, wiederholt die Zwergin. »Was du nicht sagst.« Sie sieht mich kurz an und kommt offenbar zu dem Schluss, dass ich irgendeine Autorität vertrete. »Es heißt, ihr Bruder Gamon sei untröstlich.«
»Ja«, bestätigt meine Gastgeberin, bedauernd, dass sie ein dramatisches Detail nicht erwähnt hat. »Sie standen sich so nahe. Aber als Mönch weiß er bestimmt, wie er mit der Situation umgehen muss.«
»Wir können von Glück sagen, wenn er sich nicht umbringt«, meint die Zwergin nachdenklich, »Mönch hin oder her. Sie war der einzige Rückhalt, den er hatte.«
Als wir von unten die Stimme einer weiteren neugierigen Nachbarin hören, die den mysteriösen Besucher sehen möchte, ahne ich, dass es Zeit ist zu gehen. Ich hole meinen Polizeiausweis heraus; das erstaunt niemanden. Die Zwergin bietet mir an, mich zum Haus von Damrongs Mutter zu begleiten.
Es handelt sich eher um eine große Hütte ohne Garten; der Müll türmt sich in einer Ecke davor. Anders als bei den Nachbarhäusern sind die Pfähle, auf denen sie ruht, ganz aus Holz, ohne Zementbasis, was bedeutet, dass sie, genau wie die Stufen zur Eingangstür, vor sich hin modern. Ich muss einige Male klopfen, bis jemand die Tür öffnet. Dahinter sehe ich einen großen, beinahe leeren Raum voller Plastikeimer, in denen das Leckwasser vom Dach aufgefangen wird. Aus einer der hinteren Ecken flackert das Bild eines Schwarz-Weiß-Fernsehers vor einem Futon.
Die vom Alkohol ausgezehrte Frau, die darauf liegt, ist betrunken und trägt einen ziemlich alten, grauen Sarong sowie ein schwarzes T-Shirt. Noch nie zuvor habe ich ein vor Angst und Hass so finsteres Gesicht gesehen. Zweifelsohne war sie vor zwanzig Jahren stahlhart, aber inzwischen hat sich diese Härte verflüchtigt; geblieben sind nur ein kaputter Körper und ein schadhaftes Gehirn. Ich zeige ihr meinen Ausweis. »Grüße von Ihrem Sohn Gamon.«
Sie bedenkt mich mit einem grimmigen Blick; offenbar versteht sie das Wort »Sohn« nicht. Als ich mich auf der Suche nach Erinnerungsstücken an ihn in dem Raum umsehe, entdecke ich ein Werbefoto für eine Harley-Davidson an einer Wand. Die Augen der Frau leuchten kurz auf, bevor sie eine scheuchende Handbewegung macht. »Hat sich verpisst.«
»Er hat sich dem Sangha angeschlossen.«
Ein weiterer finsterer Blick. »Hat sich verpisst.«
»Und Ihre Tochter Damrong?« Der Name scheint ihr nichts zu sagen. Ich hole ein DVD-Standfoto von ihr aus der Tasche: Damrongs schönes Gesicht, etwa fünf Minuten vor ihrem Tod. Es übt eine seltsame Wirkung auf die alte Frau aus, scheint weniger Erinnerungen an sie als eine Parallelwelt heraufzubeschwören. Sie deutet auf eine wackelige Konstruktion in einer Ecke des Raums, eine Art separaten Bereich aus dünnem Sperrholz, mit einer durch ein billiges Schloss gesicherten Tür. » Borisot « , sagt die Alte: Jungfrau.
Ich kenne die ländliche Tradition, einen speziellen Raum für eine Tochter einzurichten, deren Ehre nach Erreichen der Pubertät intakt gehalten werden muss, bis ein geeigneter Ehemann gefunden ist. Jede zweite Seifenoper im Fernsehen beruft sich darauf. Eines schönen Tages beschloss Damrongs Mutter offenbar, ihre abwesende Tochter zu schützen, die sie zur Prostitution gezwungen und von der sie seit Jahren nichts gehört hatte. Ich muss ihr zweihundert Baht geben, damit sie den Schlüssel zu der Tür aus der Tasche fischt und sie öffnet. Im Innern des winzigen Raums befinden sich zwei Fotos von Damrong, das eine zwanzig mal dreißig Zentimeter groß, alt und vergilbt, an die Sperrholzwand gepinnt, ein romantisches Bild, wie nur Fotografen auf dem Land es zustande bringen, mit Weichzeichner, entrücktem Blick und weißem Spitzenkleid. Damrong kann nicht älter als dreizehn gewesen sein, als es aufgenommen wurde; vermutlich sagte man ihr, dass sie den Blick himmelwärts gerichtet halten solle, wo attraktive Ehemänner und Klimaanlagen auf sie warteten. Schon in dem Alter war ihre
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