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Der Buick: Roman (German Edition)

Der Buick: Roman (German Edition)

Titel: Der Buick: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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erklärt hat, warum er in der Kirche eine Kerze anzündet, obwohl er eigentlich gar kein guter Katholik mehr ist. ›Mit dem Unendlichen ist nicht zu spaßen‹ , hat e r gesagt. Vielleicht war es das, was wir gelernt haben.
    Ab und an gab es Erdbeben im Schuppen B. Manchmal nur ein kleines Zittern, manchmal auch ein Mordstheater. Aber der Mensch gewöhnt sich nun einmal an alles, auch an Dinge, die er nicht versteht. Wenn ein Komet am Himmel erscheint, faselt alle Welt vom Jüngsten Tag und den Reitern der Apokalypse, aber lass den Kometen mal ein halbes Jahr lang dableiben: Dann achtet überhaupt keiner mehr drauf, und alle sagen: Na und? So war’s doch auch an Silvester 2000, weißt du noch? Alle hatten fürchterliche Angst, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt und sämtliche Computer versagen; und ein paar Tage später ging alles weiter wie gewohnt. Ich will doch nur, dass du die Dinge siehst, wie sie sind. Dass du …«
    » Erzähl mir von dem Fisch«, sagte er, und da verspürte ich wieder diese Verärgerung. Er wollte nicht hören, was ich ihm alles zu sagen hatte – so sehr ich das auch wollte und so viel Mühe ich mir auch gab. Er hörte sich das an, was er hören wollte, und schaltete beim Rest auf Durchzug. Das ist wohl die große Teenagerkrankheit. Und er hatte das gleiche Leuchten in den Augen wie sein Vater, als Curt sich damals mit dem Skalpell in der Hand über das Fledermauswesen gebeugt hatte. ( Ich schneide jetzt – manchmal höre ich immer noch im Traum, wie Curtis Wilcox das sagt.) Aber nicht genau das Gleiche. Denn der Junge war nicht nur neugierig, sondern auch wütend. Stinksauer.
    Meine Wut rührte daher, dass er sich weigerte, sich alles anzuhören, was ich ihm zu sagen hatte, dass er die Frechheit besaß, sich auszusuchen, was er hören wollte. Woher kam das? Was steckte dahinter? Dass seine Mutter belogen worden war, und zwar nicht nur einmal, sondern im Laufe der Jahre immer und immer wieder? Dass er selbst belogen worden war, wenn auch nur, indem man ihm etwas verschwiegen hatte? War er wütend auf den Buick? Er wusste doch sicherlich, dass nicht der Buick seinen Vater umgebracht hatte – Bradley Roach war es gewesen, der ihn an der Seite eines am Straßenrand haltenden Sattelzugs totgemangelt und dabei eine Blutspur hinterlassen hatte, die drei Meter breit und so hoch wie ein State Trooper gewesen war, etwa 1,88 in Curtis Wilcox’ Fall. Ihm waren dabei die Kleider nicht nur vom Leib gerissen, sondern unter dem Kreischen der Bremsen auch noch umgekrempelt worden, während die ganze Zeit über WPND im Radio lief, der Eigenwerbung nach » West-Pennsylvanias Countrysender Nummer eins«; was außer Countrymusik hätte es denn auch sein sollen bei einer angetrunkenen Dumpfbacke wie Roach? Daddy sang Bass, und Mama sang Tenor, als die Münzen aus Curt Wilcox’ Hosentasche gerissen wurden und sein Penis ausgerupft wurde wie Unkraut und seine Eier zu rotem Brei püriert wurden und sein Kamm und sein Portemonnaie auf der gelben Straßenmarkierung landeten; Bradley Roach war an all dem schuld, und vielleicht traf auch noch Dicky’s Convenience in Statler eine gewisse Schuld, weil sie ihm das Bier verkauft hatten, und vielleicht auch noch die Brauerei selbst, die in ihrer Reklame niedliche sprechende Frösche und lustige Biertrinker im Baseballstadion zeigte und keine Leichen, die mit heraushängenden Eingeweiden am Straßenrand lagen, oder vielleicht konnte man auch noch Bradleys DNA die Schuld daran geben, einem kleinen Doppelhelixknäuel, das Bradley vom ersten Schluck an eingeflüstert hatte Trink weiter, trink weiter (denn manche Menschen sind nun einmal so veranlagt, sind wie Kofferbomben, die jederzeit in die Luft gehen können, auch wenn das für die Toten und Verletzten keinerlei Trost ist). Oder vielleicht war auch Gott schuld daran – Gott, der stets ein beliebter Prügelknabe ist, weil Er keine frechen Antworten gibt und nie für die Meinungsseite eine Kolumne schreiben würde. Aber nicht der Buick. Wie man es auch drehte und wendete – der Buick hatte mit Curts Tod nichts zu tun. Er hatte meilenweit weg im Schuppen B gestanden, groß und prachtvoll und unschuldig, auf Weißwandreifen, die keinen Schmutz annahmen und in deren Profil auch nicht der kleinste Kiesel haften blieb, ja, nicht mal (soweit wir das beurteilen konnten) ein Sandkorn. Er hatte dort einfach nur gestanden und sich um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert, während Trooper Wilcox am Straßenrand der

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