Der Bund der Drachenlanze - 08 Michael Williams
kletterte wie eine zweite Spinne an dem dicken Faden hoch. Zweimal stemmte sie die Füße gegen die gewölbte Decke und stieß sich so gekonnt ab, daß sie wie eine
Akrobatin unter dem Dach pendelte. Schließlich verschwand sie strampelnd durch das Loch in der Decke.
Dann blickte sie zurück und warf das Seil auf der anderen
Seite der Wand zu Sturm hinunter.
Sturm hockte sich hin und holte tief Luft. Der Fluchtweg
erschien ihm aberwitzig, fast verrückt, aber immerhin führte er ins Freie.
Mühsam zog Sturm sich Hand um Hand an dem Strang
hoch und versuchte, seine Schulter nicht zu sehr zu belasten, da sie ihm wieder Probleme machte. Schließlich balancierten seine Füße wackelig oben auf der Vorderwand
seiner Zelle. Unter ihm lagen die schlafenden Wachen mit
dem Rücken an der Wand. Ein halbes Dutzend anderer
schnarchte am heruntergebrannten Feuer, und hinten am
Eingang schliefen zwei, über ihre Speere gebeugt, im Stehen.
Sturm lächelte etwas zuversichtlicher und band sich den
Strang um den Bauch. Von hier aus war es nur ein kurzer
Sprung zu der Öffnung im Dach und in die Freiheit. Er
stieß sich von der Wand ab, sprang los, streckte die Arme
aus…
… und kam gute drei Fuß zu kurz an.
Er drehte sich in der Luft, versuchte noch einmal verzweifelt zuzugreifen und verlor dadurch das letzte bißchen
Gleichgewicht. Seine Füße blieben über ihm in dem Webstück hängen. Sturm unterdrückte einen Entsetzensschrei,
als er mit dem Kopf voran halsbrecherisch auf die glühende, torfbedeckte Mitte des Feuers zuraste. Der Webstrang
bewahrte ihn wenige Fuß darüber vor dem Schicksal, geröstet zu werden. Lautlos baumelte er über den schlafenden Wachen.
Der Fall hatte ihm den Atem genommen. Keuchend griff
er nach seinen Knöcheln, die er jedoch erst beim dritten
Mal erwischte. Nachdem er sich in eine bessere Position
gezogen hatte, griff er wieder nach dem Seil und kletterte
direkt durch die Öffnung, wo Mara ihm half, aufs Dach zu
steigen.
Es war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen, und es
schien eine weitere Ewigkeit zu dauern, bis er von dem
Faden befreit war. Als Sturm aufsah, beugte sich Mara über
ihn, während Cyren wie ein von einem perversen Zauberer
verwandelter Baldachin über ihr thronte.
»Hier«, flüsterte die Elfe und reichte Sturm sein Schwert.
»Hat genau der Schmied neu geschmiedet, von dem Jack
Derry gesprochen hat, also dürfte es gute Arbeit sein.«
»Der Schmied!« zischte Sturm. »Also hast du ihn gefunden?« Nachdem er den letzten Spinnenstrang vom Knöchel
abgeschüttelt hatte, kroch er zum Rand des Dachs.
»Die Schmiede ist ganz hinten beim Stall. Aber eine Wache könnte uns unterwegs entdecken! Oder auch nur ein
kläffender Hund…«
»Zeig mir den Weg«, verlangte Sturm. »Ich muß unbedingt in die Schmiede.«
Er drehte sich zu Mara um und ergriff drängend ihre
Hand. »Jack Derry schuldet mir eine Erklärung.«
Sturm steckte das neugeschmiedete Schwert in seinen
Gürtel und rutschte das Dach des Rundhauses hinunter.
Am Rand hielt er sich fest, denn dort bildete frischer Efeu
ein grünes Spalier bis zum Dorfplatz hinunter. Mara folgte
ihm seufzend, und die Spinne blieb ihr mit nervösem Zirpen auf den Fersen. Als beide festen Boden erreicht hatten,
zeigte das Elfenmädchen zum Stall und auf die Schmiede
dahinter, und sie schlichen sich durch die düsteren Gassen
von Dun Ringberg und mieden das verräterische Mondlicht, bis sie am Rand des Dorfes angekommen waren – wo
in Wielands Fenster ein einsames Licht flackerte.
Sturm hörte die ferne, einschmeichelnde Musik, als die
Schmiede in Sicht kam. Sie erinnerte den jungen Ritter an
Vertumnus und an die Prüfung, die ihm bevorstand. Er
schlug seinen Mantel gegen den Regen hoch und bedeutete
Mara, im Schutz der Dunkelheit zu warten. Tief gebückt
überquerte er das letzte offene Stück zur Schmiede. Leise
schlich er ans Fenster und stellte sich auf die Zehenspitzen,
um hineinzuspähen.
An der abgedeckten Esse standen zwei Männer, die mit
Rechen den Torf entfernten, damit der Schmied sein Tagwerk beginnen konnte.
Sie redeten über Spinnen.
»So dick wie mein Kopf, ich sag’s dir!« behauptete der
Größere, der zwei schwarze Hände hochhielt, um den Umfang des Tieres zu beschreiben.
Der Mann, der mit dem Rücken zum Fenster stand,
schwieg. Wegen des glimmenden Feuers und der trügerischen Schatten konnte Sturm ihn nicht genau sehen, doch
er war eindeutig stark und wendig und schien sich mit Rechen
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