Der Bund der Drachenlanze - 08 Michael Williams
eigenes, aber dennoch
ein vertrautes, als hätte jemand durch seine Augen gesehen
und wäre plötzlich und unerwartet im Spiegelbild sichtbar
geworden. Sturm schüttelte den Kopf und steckte das
Schwert wieder zurück.
Jack ritt mit einer abgeblendeten Laterne in der Hand
vorn auf Eichel. Aus den Bäumen vor ihnen schien eine
langsame, getragene Musik aufzusteigen, und somit trieb
der Gärtner sein Pferdchen zuversichtlich voran. Es trabte
so sicher drauflos, als wäre es den Pfad schon unzählige
Male gegangen. Sturm mußte sich Mühe geben, mit Jack
Schritt zu halten. Luin trat immer noch vorsichtig auf und
hatte auch noch das zusätzliche Gewicht von Mara zu tragen. Immer wieder hielt Jack vor ihnen an, um das Licht
hochzuhalten. Sie folgten ihm durch die grüne Finsternis
und die süß duftende, weiche Luft.
Der Wald war still und erwartungsvoll. Hin und wieder
rief ein Vogel, dem ein anderer antwortete, doch das Land
um die Wanderer schwieg. Selbst die ersten Frühlingsinsekten waren noch still.
»Jack«, flüsterte Sturm. Der Gärtner zügelte sein Pferd,
damit Sturm neben ihm aufschließen konnte. »Woher
kennst du eigentlich – «
Etwas raschelte und knackte im Unterholz. Eine braune
Taube flatterte mit einem leisen, schleppenden Schreckenslaut auf. Im gleichen Moment griffen beide Männer zum
Schwert, denn so plötzlich, als wäre er einer der Bäume
gewesen, stand ein grüner Ritter vor ihnen auf dem Pfad.
»Vertumnus«, hauchte Sturm.
»Kaum«, zischte Jack Derry. »Und wenn du schlau genug
bist, machst du einen weiten Bogen um den.«
Der riesige Ritter rührte sich nicht. Ein Visier aus hell getupftem Efeu verdeckte sein Gesicht, und sein Kettenhemd
war nicht aus Ketten, sondern aus dicken, grünen Schlingpflanzen. Sein Schild war so groß wie die Heuluke einer
Scheune und sah mit ihren dicken, zusammengezimmerten
Eichenbrettern auch genauso aus.
Doch es war die Waffe, die die jungen Männer genauer
hinsehen ließ. Eine Keule, so lang wie Sturms Bein, lag auf
der Schulter des großen Kerls. Wenn der Schild noch grob
gemacht war, wirkte die Keule wie frisch aus dem Wald,
ein Stamm, dem man noch ansah, wo er gefällt worden
war; die kleineren Zweige waren zurechtgestutzt und zu
bösartigen Dornen gespitzt worden.
»Ich glaube, es gibt einen besseren Weg in diesen Wald«,
schlug Jack vor, der Eichel mit einem heftigen Ruck wendete, um danach zu suchen. Nach einem Schubs von Mara
folgte ihm Sturm, der noch einen letzten Blick auf den Ritter warf, der sich nicht von seinem Posten auf dem Pfad
weggerührt hatte.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte Sturm. »Dieser Kerl
vor uns… und die Herausforderung ablehnen… also, nach
dem Maßstab muß ein Ritter die Forderung zum Zweikampf annehmen – «
»Um die Ehre des Ordens zu verteidigen«, unterbrach
die Elfe, die ihre Arme so fest um Sturms Bauch legte, daß
ihm einen Moment der Atem wegblieb. »Das wissen wir
inzwischen alle, Sturm. Wir wissen, was der Maßstab zu
allem sagt, von der Grammatik über die Tischmanieren bis
zur Etikette des Schaukampfes. Du hast den Orden jetzt
gegen Geister und unschuldige Spinnen und Banditen verteidigt, und ich habe noch keinerlei Verleumdungen über
die Solamnier gehört.«
»Was war das?« fragte Sturm. Jack drehte sich zu ihm
um, doch sein Gesicht lag im Schatten der Blätter.
»Ein Baumhirte, Sturm – eine alte Riesenrasse, älter als
der älteste Vallenholzbaum im Wald, älter als die Zeit. Es
heißt, sie waren schon hier, als Huma noch in der Wiege
lag. Sie beschützen den Wald, hüten sein Wachsen und seine Geheimnisse. Es gibt Dinge in diesem Wald, die jenseits
deiner oder auch meiner Vorstellung liegen.«
»Woher weißt du das alles, Jack Derry?« fragte Sturm.
Jack antwortete nicht, sondern zeigte auf einen tiefhängenden Vallenholzzweig. Pflichtschuldig duckte sich
Sturm, wobei er heimlich hoffte, daß Mara so mit ihren
Kommentaren beschäftigt sein würde, daß sie aus dem Sattel gefegt würde. Aber sie wich geschickt aus und schwatzte weiter über Beleidigungen und Ritterlichkeit und Eid
und Maßstab.
»Und auch von dem Mann hinter uns habe ich nichts
Schlechtes über deinen kostbaren Orden gehört«, sagte sie.
»Du nimmst Anstoß, wo es keinen Grund gibt, und siehst
Herausforderungen im Wind und im Regen.«
Ihr Griff wurde lockerer, und sie verfiel wieder in
Schweigen. Aber sie konnte ein letztes Wort nicht lassen.
Sie griff hoch, zog Sturms Kopf am Ohr zu sich herunter
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