Der Bund der Drachenlanze - 08 Michael Williams
du mußt nie wieder wählen.«Mara trug den Körper der Spinne zu einem kleinen Hügel am Rand des Waldes, wo die Bäume dem Gras, den Steinen und dem Mondlicht Raum gaben und wo man durch das dünner werdende Blattwerk im Westen die Lichter von Dun Ringberg sehen konnte.
Für ein so großes Wesen war Cyren überraschend leicht.
Es war, als hätte die Spinne bei ihrem Tod nur eine dünne,
papierartige Hülle zurückgelassen, wie einen zerbrochenen
Kokon oder eine Krebsschale.
Seine Beine waren jetzt schon trocken und brüchig.
Mara wußte kaum, wohin sie ihn trug, und noch weniger, weshalb sie das tat. Der Wald um sie herum war laut
drohend und dunkel, voller Grunzen und Pfeifen und knackendem Unterholz. Sie kletterte über einen umgestürzten
Ahorn, dann durch ein Dornendickicht, das ihr die Haut
zerkratzte und an ihren Kleidern zerrte.
Sehr selten schien Mondlicht durch die Zweige. Dann
konnte Mara zum offenen Himmel hochschauen, zu den
Sternen im immer dunkleren Violett der Nacht.
Es war, als hätte sich der Wald gegen sie verschworen,
als wäre alles in ihrem Elfenblut voll Angst und in der
Schwebe. Immer wieder knurrte es rauh und unvertraut im
Unterholz, etwas Gieriges, Verwundetes, Zorniges. Kurz
darauf kamen dann wieder ein paar kurze, silberne Flötentöne aus der Nähe, so schön und vielsagend, daß sie dachte, sie hätte das Lied geträumt. Mehr als einmal hätte sie
am liebsten den toten Cyren zurückgelassen und wäre ins
Freie gestürmt, wo sie Licht und kühler Wind erwarteten.
Wäre am liebsten einen Vallenholzbaum bis zum Dach des
Waldes hinaufgeklettert, wo der Himmel sich auf tun würde.
Und die ganze Zeit weinte sie.
»Zauberei!« murmelte sie bitter, als sie das Tier um eine
flache Felsnase schleppte. »Das ist doch genau verkehrt
rum. Prinzen und Könige werden in Frösche oder Vögel
oder zu Stein verwandelt oder müssen hundert Jahre schlafen. Die alten Märchen lügen, denn offenbar kann auch ein
Stein, ein Frosch oder ein Vogel zum Prinzen werden. Ich
war in Calottes Blendwerk verliebt.«
Auf einmal fand sie die ganze Geschichte komisch. Sie
fing an, fassungslos zu lachen, setzte sich auf einen Stein,
sah der Spinne tief in ihre vielen, trüben Augen und lachte,
bis sie wieder weinen mußte.
Dann kam ihr ein unglaublicher Zufall zu Hilfe, denn sie
bemerkte den schwachen Geruch von Holzrauch in der
Luft, der von irgendwo rechts zu ihr herüberwehte. Wieder
hob sie mühsam Cyrens Körper auf, der schwerer wurde, je
länger sie unterwegs war, und trottete dem Geruch nach.
Mit der Spinne auf den Schultern kletterte sie einen Hang
hoch. Das letzte, steile Stückchen überwand sie nur, indem
sie ihre Füße gegen den dünnen Stamm einer jungen Weide
stützte. Dann erreichte sie frische, leichte Luft und eine
windgepeitschte Lichtung über dem zurückweichenden
Wald.
Zärtlich setzte sie die Spinne ab. Sie kniete oben auf dem
Hügel und zog ihr Messer. Konzentriert, fast ehrfürchtig,
begann sie, ein Grab in den steinigen Boden zu graben. Dabei sang sie eine Totenklage aus dem Westen, die sie auf
ihren Reisen mit dem Tier, das sie begraben wollte, gelernt
hatte. »Bis heut hast du mir stets erklärt,
Warum die Erde dunkel wird
Und wie das Dunkel den Regen begehrt
Und Farn und Blumen dann gebiert.Schon heute könnt’ ich
nicht mehr sagen,
Wie Goldminen es überstehen,
Wenn tausend Lenze an ihnen nagen,
Wenn tausend Leben vorüberziehen.Nun füllt der Winter meinen Geist,
Der Herbst und auch des Sommers Pracht –
Doch jeder Lenz von nun an heißt
Ein weit’res Jahr für mich zur Nacht.« So grub sie und sang
das Lied noch einmal, bis hinter ihr ein Pferd wieherte und
ein Schatten über sie fiel. Jack Derry kam näher und kniete
sich neben sie. Schweigend, mit der gesunden Zuversicht,
der sie auf ihrem gemeinsamen Weg zu vertrauen gelernt
hatte, und auch mit ungewohntem Ernst zog der Gärtner
sein Messer heraus und grub mit ihr.
Bis Mitternacht hatten sie das Tier feierlich auf ein Blätterbett gelegt. Dann deckte Jack es zu, während Mara eine
alte Elfenmelodie spielte, die süß und getragen durch die
tiefblaue Nacht zog. Während sie spielte, stieg langsam
und völlig unerwartet der rote Mond Lunitari hinter einer
Gruppe Pappeln auf und vereinte sich mit dem weißen Solinari darüber.
Erstaunt sah Mara an den hohen, wolkenlosen Himmel
über Lemisch jenseits der überraschenden Vereinigung der
Monde. Da leuchtete am frühen Morgenhimmel blau und
weiß die
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