Der Bund der Drachenlanze - 08 Michael Williams
erreicht.«
Vertumnus setzte sich auf den Boden. »Durch diese Gefangenschaft warst du sicher. Du wurdest von einem gnadenlosen Feind verfolgt, und als die Herrin dich in Gewahrsam nahm… hat er die Jagd aufgegeben.«
Sturm zog verärgert die Nase hoch. Wieder dieses Märchen von Bonifaz und seiner Verschwörung.
»Und?« fragte Vertumnus, der seine Hände im Schoß faltete. Er sah aus wie eine alte östliche Statue, ein Symbol
ferner Heiterkeit. »Und? Spürst du die Wunde? Den Verlust? Das Dahinsein?«
»Das… das verstehe ich nicht«, wehrte sich Sturm.
»Ich könnte mir vorstellen«, hakte Vertumnus nach, »daß
du deine Ehre nicht verloren hast, falls du nicht vorhast, sie
wegen eines Datums aufzugeben… Oh«, rief er aus, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen. »Ich habe doch ein Geschenk für dich.«
Vertumnus stand auf und sprang an das Regal in der
Schmiede, wo er auf einen Stuhl stieg und etwas Langes, in
festes Tuch Eingewickeltes herunterholte. Langsam und
stolz wickelte er es aus und hielt es Sturm hin.
Es war eine Schwertscheide, deren Oberfläche wundervoll und makellos gearbeitet war. Ein Dutzend Gesichter
starrten Sturm an. Sie waren in glänzendes Silber getrieben
wie Spiegelbilder aus einem Dutzend Spiegeln oder die
Statuen in Kastell di Caela, das jetzt Meilen und Jahre entfernt schien. Jedes Gesicht hatte seine Augen, seine Züge,
und jedes war rot und grün von kupfernen Blättern und
Rosen umrankt, so daß es zu lodern schien – ein Dutzend
Sonnen oder Sonnenblumen oder knospende Pflanzen.
»Das ist… wirklich herrlich, Sir«, sagte Sturm still, als
seine Manieren die Verblüffung überwunden hatten. Er
bewunderte die Scheide aus einem gewissen Abstand und
scheute sich davor, sie zu berühren. Gedankenverloren
setzte er sich auf den Amboß und kniff die Augen zusammen, um das Geschick dieses Handwerkers zu bewundern.
»Ich glaube, das kann nur von Wieland stammen.«
»Von seinem Meister«, sagte Vertumnus ruhig. »Niemand auf dieser Welt könnte etwas Vergleichbares fertigbringen, wenn ich das sagen darf.« Stumm hockte er sich in
die offene Esse.
»Eure Zuvorkommenheit, Fürst Vertumnus, ist dem Reisenden höchst angenehm«, erklärte Sturm so förmlich wie
möglich, während er die Scheide in der Hand drehte. »Und
zweifellos zeugt sie ebensosehr von Eurer Ehre und Eurer
Erziehung wie dieses wunderbare Geschenk.«
Aus der Ecke der Schmiede, wo Vertumnus im rötlichen
Schatten an den Flammen hockte und die glühenden Kohlen mit Torf abdeckte, kam gedämpftes Gelächter.
Sturm räusperte sich und kam zur Sache. »Aber ich erinnere mich an eine Vereinbarung zwischen uns, die beim
Julbankett getroffen wurde. ›Komm am ersten Frühlingstag‹, sagtet Ihr, ›in meine Burg im Südlichen Finsterwald.
Komm allein, damit wir es beilegen – Schwert gegen
Schwert, Ritter gegen Ritter, Mann gegen Mann.‹ Ihr sagtet,
ich müßte meines Vaters Ehre verteidigen, und Ihr habt
meine in Frage gestellt.«
Vertumnus nickte, doch sein geheimnisvolles Lächeln
wich einem klaren, starren Ernst.
»Also zum Geschäftlichen«, flüsterte er. Nachdem er das
letzte Stück Torf aufs Feuer gelegt hatte, richtete er sich zu
seiner vollen, beeindruckenden Größe auf – er war einen
Kopf größer als der Junge vor ihm.
Sturm schluckte. Er hatte den grünen Mann nicht so
groß, so beeindruckend in Erinnerung gehabt.
»Das war nicht alles, was zwischen uns gesagt wurde«,
bestätigte er. »Ihr Solamnier mit eurer Begeisterung für Regeln und Verträge solltet euch an alles erinnern, was gesagt
wurde, und zwar wortwörtlich.«
»Aber ich erinnere mich ja«, gab Sturm zurück. »›Denn
jetzt bin ich dir einen Schlag schuldige‹, sagtet Ihr, ›so wie
du mir ein Leben schuldest.‹«
»Dann stimmt unsere Erinnerung überein«, murmelte
Vertumnus. »Folg mir in den Hof der Schmiede. Dort werden wir den Bedingungen dieser Vereinbarung Genüge
tun.«
Sturm legte die Scheide hin und trat aus der Schmiede in
das Nachmittagslicht. Vertumnus wartete am Brunnen
zwischen Laub, beschädigten Geräten und halbfertigen Ornamenten. Augenblicklich erhob sich aus der Erde um sie
herum eine leise Musik, und Sturm hielt mit nervöser, gespannter Bereitschaft sein gezogenes Schwert vor sich.
»Bewaffnet Euch, Fürst Vertumnus!« drohte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Faul und katzenartig lehnte Vertumnus am steinernen
Brunnen.
Und dann griff er mit schwindelerregender Schnelligkeit
an. Seine
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