Der Bund der Drachenlanze - 11 Tina Daniell
weiterschlich und sich
dabei flach an die Wand der Schlucht drückte, bestaunte
Kit die Kunst als Fährtenleser und Jäger, die er trotz seiner
schwelgerischen Lebensweise an den Tag legte.
Ein Knacken ließ die beiden aufmerken. Nelltis winkte
Kit mit einem Arm. Wie er legte sie einen Pfeil auf. Zu beiden Seiten der Schlucht schlichen sie langsam durch eine
Zickzackbiegung, die in einen breiteren Teil der Schlucht
führte, der auf Kits Seite mit einem großen Nadelbusch begann.
Fast gleichzeitig sahen beide den tiefen Einschnitt im ockerfarbenen Fels. Eine Höhle. Aus der flachen Tiefe glitzerten sie zwei rote Raubtieraugen an. Nelltis, der auf derselben Seite war wie die Öffnung, erstarrte. Kitiara hockte
sich tiefgebückt hin.
Regelrecht ehrfürchtig sahen die beiden zu, wie ein Riesentier ins Tageslicht heraustrat, das sie wohl einschüchtern wollte. Über zwei Meter hoch und fast drei Meter lang
stand die Leucrotta da. Ihr Körper ähnelte dem eines großen Hirsches, der Kopf dem eines übergroßen Dachses. Der
Kopf war pechschwarz, während der Rest des Körpers
dunkelbraun war. Ihre Hufe waren paarig. Der Schwanz
sah aus wie der eines Löwen.
Ihr Maul stand offen. Speichel tropfte von den knochigen
spitzen Zahnreihen. Selbst von ferne konnte Kitiara den
fauligen Atem riechen. Der Atem einer Leucrotta stank ebenso scheußlich, wie sie aussah, vielleicht einer der Gründe, warum sie als Einzelgängerin und am liebsten an einsamen Orten lebte.
Als die Leucrotta dastand und ihre Gegner beobachtete,
winkte Nelltis den beiden Männern hinter ihm zu, bis zu
Kitiara vorzukommen. Einer der Männer blieb neben Kit
stehen. Er hielt Schwerter und verschiedene Jagdwaffen
bereit. Der andere bekam die gefährliche Aufgabe, auf dem
Bauch vorwärts zu kriechen und dabei ein langes, dickes
Netz mitzuziehen, das man dem Wesen über den Kopf
werfen konnte, um es einzufangen.
Die Leucrotta schien ihren vier Gegnern aufmerksam zuzuschauen, machte jedoch überraschenderweise keine Anstalten anzugreifen. Bei ihrer überwältigenden Größe hätte
sie wahrscheinlich in jede beliebige Richtung durchbrechen
un d entkommen können. Statt dessen aber stand sie einfach da und wartete, bis die menschlichen Jäger den ersten
Zug machten.
Mit schneller, fließender Bewegung stand Nelltis auf,
zielte und schoß auf die Leucrotta. Ach Kit stand auf und
zielte, während der Mann mit dem Netz losrannte, um es
über das gefährliche Tier zu werfen.
Alle waren eine halbe Sekunde langsamer als die Leucrotta, die bereits ihre erste Beute ausgewählt hatte. Erschreckend schnell sprang das Untier los und erwischte den
Mann mit dem Netz, als er es warf und sich wieder zurückziehen wollte. Mit dem Netz halb über seinem Kopf
stand die gewaltige Leucrotta über dem Mann, öffnete ihre
großen, kräftigen Kiefer, biß das Netz durch und riß dem
Mann mit einem brutalen Schnappen den Kopf ab. Blut
sprudelte aus dem Körper des Mannes, und Nelltis und Kit
bekamen noch einen Spritzer ab, als die Leucrotta ihr Opfer
heftig schüttelte und den Körper wie eine Stoffpuppe gegen die Wand der Schlucht schleuderte.
Nelltis’ Pfeil stak in der Flanke des Tiers, wo er winzig
und sinnlos aussah. Kitiaras Schuß war vorbeigegangen.
Beide hatten ihren zweiten Pfeil aufgelegt, doch die Leucrotta duckte sich bereits hinter den Nadelstrauch, wo sie
teilweise vor Angriffen geschützt war.
Nelltis und Kit zögerten. Wachsam beobachteten sie das
riesige Tier, dessen Augen sie von oben bis unten anfunkelten.
Plötzlich öffnete das Tier sein Maul und stieß einen lauten, hohen, kecke r nden Schrei aus, der jedes andere Geräusch übertönte und Kit beinahe die Ohren zum Klingeln
brachte. Mit schnellen Kieferbewegungen ließ die Leucrotta
den schrillen Ton lange weitergellen, ohne sich aus ihrem
Versteck zu rühren.
»Was macht sie denn?« zischte Kit Nelltis über die
Schlucht hinweg zu.
»Sie lacht uns aus«, entgegnete Nelltis mit gedämpfter
Stimme. »Brüstet sich mit ihren Opfern.« Nelltis hatte sich
geduckt und zeigte keine Spur von Angst.
»Verstehst du ihre Sprache?« fragte Kit überrascht. Ein
fröhlicher Funken tanzte in Nelltis’ runden Augen.
»Nein«, gab er grinsend zu. »Nur geraten.«
Die Leucrotta mahlte wieder mit den Kiefern und stieß
eine neuerliche, lange Serie hoher, unverständlicher Töne
aus. Hoch oben konnte Kit sehen, wie Nelltis’ Bogenschützen von dem Geräusch angezogen wurden und sich
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