Der Bund der Drachenlanze - 11 Tina Daniell
am
Rand der Schlucht aufstellten. Obwohl sie bereits zielten,
wußten sie genau, daß sie nur im äußersten Notfall schießen durften.
Das hier war Nelltis’ Sache.
»Ich glaube, sie hat gesagt: ›Ich fresse erst den Dicken,
dann das leckere Weibchen‹«, zischte Kit Nelltis zu, wobei
sie ihr Gesicht zu einem schiefen Lächeln verzog. Nelltis
grinste zurück.
Plötzlich drang vom oberen Rand der Schlucht eine Folge
von Schreien zu ihnen herunter, die wie ein Echo des Meckerns der Leucrotta klang.
Mit großen Augen suchte Kitiara den Rand ab, denn sie
war sicher, daß ein Partner des Tiers aufgekreuzt war.
Auch Nelltis wurde abgelenkt und fuhr auf. Die Leucrotta
selbst unterbrach ihr Geheul und witterte, um den Geruch
des Eindringlings aufzunehmen.
Schließlich blieb Kitiaras Blick an Ladin Elferturm hängen, der vor Stolz über seine Imitation strahlte und Kit und
ihrem Onkel zuwinkte, die Jagd zu beenden, solange ihr
Opfer abgelenkt war.
Unglücklicherweise hatte das Tier sich bereits wieder
den Jägern zugewandt. Und bevor Kit oder ihr Onkel wieder ganz bei der Sache waren, sprang die Leucrotta aus
ihrem Versteck.
Nelltis wußte, daß er zu spät dran war, als er herumfuhr,
um einen Pfeil in die riesige, schattenhafte Form hinaufzuschießen, die sich auf ihn stürzte. Er zielte nach oben, rollte
– erstaunlich behende für einen so beleibten Mann – nach
vorn und fühlte, wie die Klaue der Leucrotta ihn erwischte
und ihn hart auf den Rücken warf. Nach kurzer Benommenheit kam Nelltis mühsam auf die Knie, lehnte sich an
die Wand der Schlucht und legte einen weiteren Pfeil auf.
Als er auf die Beine kam, sah er die Leucrotta einige Fuß
entfernt zuckend auf der Seite liegen. Aus ihrem wild herumschlagenden Kopf strömten Schleim und stinkendes
Blut. Ein Pfeil – sein Pfeil – steckte im Bauch des Tieres,
während ein zweiter – Kits – aus dem Hals der Leucrotta
ragte. Kit ließ sich, den Rücken an der Felswand, in di e Hocke gleiten. Sie war offenbar mitgenommen, aber unverletzt. Müde nickte sie ihm beruhigend z u.
Nelltis ging zu dem Tier hinüber. Sein Rücken glühte vor
Schmerz, doch jetzt kam auch die Begeisterung über die
erfolgreiche Jagd. Einen Augenblick stand er herrisch über
seiner gefallenen Beute, um dem Tier dann einen Pfeil ins
Gehirn zu schießen. Auf der Stelle stieß die Leucrotta ihren
letzten Atem aus und lag still.
Kit kam herüber, um das Monster anzustarren, das im
Tod noch ebenso mächtig und häßlich aussah wie zu Lebzeiten. Der überlebende Gefolgsmann hastete an ihre Seite.
Er riß seine spitze Kappe hoch, woraufhin die Obenstehen
den in stürmischen Beifall ausbrachen.
»Ich glaube, ich sollte dir danken, weil du mir das Leben
gerettet hast«, sagte Nelltis fast versonnen.
»Bist du enttäuscht, Onkel?« fragte Kitiara. »Ich glaube
nicht, daß mein Pfeil ihn getötet hat. Ich glaube, es waren
beide zusammen – deiner und meiner.«
Er sah seine ju nge Nichte mit ihren dunklen Augen und
dem ernsten Gesichtsausdruck an und wußte, daß sie so
etwas nicht sagen würde, wenn sie es nicht meinen würde.
»Ja, beide«, sagte er mit offenkundiger Zufriedenheit.
Elferturm kam in die Schlucht heruntergeklettert. Er war
der erste von den anderen Jägern, der zu ihnen stieß. Wichtigtuerisch warf er sich in die Brust. »Eine gute Jagd«, stellte er fest.
Nelltis’ Selbstzufriedenheit verschwand. Grollend wandte er sich seinem Fährtensucher zu. »Wa s nicht dir zu verdanken ist. Wenn du das nächste Mal ein bißchen nützliche
Strategie einbringen willst, dann sorg dafür, daß ich vorher
davon weiß, sonst ist das die letzte Jagd deines Lebens in
Lemisch.«
Elferturm lief knallrot an, als Kit und ihr Onkel ihm den
Rücken zukehrten und davonmarschierten.
Stunden später, nachdem sie das schwere Tier aus der
Schlucht geschlei ft und auf einer Trage hinter den Pferden
festgezurrt und den unglückseligen Mann begraben hatten,
der heute sein Leben gelassen hatte, ritten Nelltis, Kit und
die Jagdgesellschaft im Triumphzug in den Burghof ein.
Alle Bediensteten und Arbeiter von Nelltis fanden sich
ein, um ihrem Herrn zu gratulieren, der für den Abend ein
Festmahl anordnete. Vierschrötig wie er war, stand er
strahlend vor Stolz da und tat alle besorgten Fragen nach
seiner Verletzung am Rücken achselzuckend ab. Allen, die
zuhörten, erzählte er, daß seine Nichte gleichermaßen am
Erfolg der Jagd beteiligt war.
Aus etwas Abstand beobachtete Kit ihn halb liebevoll,
halb
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