Der Bund der Drachenlanze - 11 Tina Daniell
Blicke auf dieses
letzte Mitglied des Trios. Alle trugen lange, dunkle Roben,
eine Haube und eine Maske.
Die Rückseite seiner Robe flatterte, wenn er sich bewegte
oder nur rührte, wodurch man auf eine Art Schwanz
schließen konnte. Wenn die Robe so verrutschte, daß man
etwas von seinem Köper zu sehen bekam, schien das Licht
von ihm zu reflektieren, als würden getupfte Schuppen das
Kerzenlicht zurückwerfen. Trotz der Dunkelheit leuchteten
die Augen dieses Besuchers blutrot. Das Gesicht konnte
Nelltis nicht erkennen, aber unwillkürlich zuckte er jedesmal zusammen, wenn er das vielsagende Zischeln hörte,
dem Schwefelgeruch und gelegentlich auch der ätzende
Speichel des bösen Wesens folgten. Nelltis ließ sich Zeit mit
dem Durchlesen der Botschaften und Berichte, die vor ihm
auf dem Tisch lagen. Sorgfältig las er jede Anweisung
zweimal, um den Inhalt ganz sicher zu verstehen. Die anderen mußten sich wegen seiner umständlichen Vorsicht
gedulden, obwohl sich die Gestalt in der Ecke nach einer
knappen halben Stunde des Wartens regte und drohend
grollte. Weitere Spucke übersäte den Flur und ließ Säure
dämpfe in die muffige Kellerluft aufsteigen.
Schließlich schien Nelltis zufrieden zu sein und setzte
seine Unterschrift seinerseits schwungvoll unter jedes der
Dokumente. Als er fertig war, nahm er sie hoch, rollte sie
zusammen und reichte sie der großen Gestalt mit dem
Schal.
»Unsere Herrin wird erfreut sein«, sagte der mit dem
Schal ungerührt, »und du wirst belohnt werden.«
»Meine Belohnung«, sagte Nelltis generös, »ist der
Dienst.« Die drei, selbst der finstere in der Ecke, verbeugten
sich respektvoll. Nelltis ging zu einem der Weinregale und
zog an zwei Flaschen, die ziemlich hoch lagen. Das Regal
rutschte geräuschlos nach vorn. Dahinter ging die Wand
auf und enthüllte einen engen Gang, der unter dem Burghof hindurchführte und einige Meilen weiter an einer einsamen Stelle im Wald ans Tageslicht kam. Die drei duckten
sich unter dem Türbogen hindurch und stiegen die dunkle
Treppe hinunter. Der aus der Ecke verließ den Raum als
letzter. Nelltis konnte beim Anblick der Fangzähne und des
knochigen Schwanzes einen Schauer nicht unterdrücken.
Dann waren sie verschwunden. Minuten später hatte
Nelltis das Weinlager abgeschlossen und rieb sich gutgelaunt die Hände, während er die vielen Steinstufen zu seinen Räumen hinaufstapfte.Kitiara lag auf dem Rücken auf
dem riesigen Bett in dem feudalen Zimmer, daß Nelltis ihr
in der Spitze des Nordturms überlassen hatte. Müßig betrachtete sie das feine Gittermuster an der Decke.
In den bald drei Monaten, die Kitiara bei Onkel Nelltis
verbracht hatte, war sie ganz untypisch passiv gewesen,
auch wenn sie ein Duel l ausgetragen und drei oder vier
Liebhaber gehabt hatte. Sie hatte sich auch Zeit genommen,
ihre Fähigkeiten beim Bogenschießen und mit der Peitsche
zu vervollkommnen. Aber Kit hatte sich nicht aus Nelltis’
Herrschaftsbereich herausbewegt und keinen Söldnerauftrag angenommen.
Sie war unzufrieden. In Augenblicken wie diesem fragte
sie sich unwillkürlich, was Tanis wohl tat. Dieser verdammte, selbstgerechte Halbelf! Und doch gelang es ihm
oft, sich in ihre Gedanken zu schleichen.
Kit wunderte sich über Onkel Nelltis, und diese Gedanken waren etwas näherliegend. Obwohl Nelltis von Gregor
seit Jahren weder gehört noch ihn gesehen hatte, profitierte
er weiterhin von jener Verbindung, wie Kit glaubte. Die
beiden Männer hatten sich nicht besonders gut gekannt,
aber Nelltis deutete gern an, daß sie in wenigstens eine ungesetzliche Eskapade gemeinsam verwickelt gewesen waren. Einst hatten die beiden Familien Tür an Tür gelebt. Vor
Jahrzehnten hatte der ungestüme, freiheitsdurstige Onkel
Nelltis alle Verbindungen zur Familie abgebrochen und am
Rand von Lemisch sein eigenes Reich gegründet.
Nelltis hatte etwas an sich, das fesselnd, aber nicht greifbar war. Er war prächtig eingerichtet und hatte viele Diener, doch er arbeitete wenig, und seine Felder erbrachten
nur eine bescheidene Ernte an Korn und Saatgut. Kit konnte sich nicht erklären, wie er sein luxuriöses Leben finanzierte.
Sie wußte, daß Nelltis in letzter Zeit viel gereist war. Er
hatte zahlreiche kleine Ausflüge in die Dörfer und Städte
der Gegend gemacht. Wenn er zurückkam, brachte er, wie
Kit auffiel, immer einen oder zwei stämmige Bauern mit,
wodurch das schon große Gesinde weiter anwuchs. Inzwischen bestand es aus Dutzenden von Bediensteten –
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