Der Bund der Drachenlanze - 12 Tina Daniell
Kyrie seine andere Hand in solidarischer Gebärde
auf die Caramons.
Drei Weitblick-Augen meldete sich zu Wort. »Wenn
Wolkenstürmer geht, sollten andere, die Lust haben, mit
den Minotauren zu kämpfen, Gelegenheit bekommen, sie
zu begleiten. Der Mensch sollte in die Kriegergemeinschaft
gebracht werden.«
Wolkenstürmer erschien bei diesen Worten dankbar.
Obwohl Caramon nicht wußte, was die Kriegergemeinschaft war, überraschte ihn die Inbrunst in den Worten des
alten Vogelmanns.
Lange Minuten starrten sich Sonnenfeder und Wolkenstürmer von Vater zu Sohn an. »Du mußt tun, wozu es dich
treibt«, sagte Sonnenfeder schließlich schweren Herzens.
Der Anführer der Kyrie seufzte. »Aber tue nichts Unüberlegtes – und heute nacht tust du gar nichts. Einverstanden?
Also, es ist Schlafenszeit. Zeit, uns im Schlaf die Dinge zu
erträumen, die wir zu tun hoffen.«
Auf dieses Zeichen von Sonnenfeder verließen Drei
Weitblick-Augen und die junge Kyriefrau die Höhle. Wolkenstürmer zögerte, nickte Caramon freundlich zu und
ging dann ebenfalls. Sonnenfeder legte Caramon seinen
gefiederten Arm um die Schulter, als der Majerezwilling
aufstand, um zu gehen.
»Du schläfst hier«, sagte Sonnenfeder. Er zeigte in die
Ecke, wo die alte Kyriefrau noch dabei war, einen dicken
Stapel Pelze aufzuschichten.
»Aber das ist dein Haus«, wandte Caramon ein, »und ich
habe dir nichts als Leid gebracht.«
Sonnenfeder schüttelte den Kopf. »Du hast nichts gebracht, das nicht schon vor deiner Ankunft hier gewesen
wäre«, sagte der alte Kyrie. »Und solange du bei uns
bleibst, wünsche ich, daß du diese Höhle als dein Zuhause
ansiehst. In den Bergen sind die Nächte kalt, und du bist an
das Klima nicht gewöhnt.«
Caramon machte den Mund auf und wollte protestieren,
aber Sonnenfeder hob abwehrend die Hand. »Ich bin überall bei meinem Volk willkommen«, sagte der Kyrieführer,
»und brauche mich nicht um einen Platz zum Schlafen und
Essen zu sorgen. Und in manchen Nächten ziehe ich sogar
den offenen Himmel vor.« Sein dunkles Gesicht verzog sich
zu einem verknitterten Lächeln. »Auch wenn ich ein alter
Knochen bin.«
Caramon hatte keine Einwände mehr. In Wahrheit war er
froh über die behagliche Höhle.Die nächsten paar Tage lebte Caramon wie die Kyrie in dieser Höhlenstadt an den
steilen Klippen, welche die tiefen Täler hoch im Norden
von Mithas säumten.
Der größere, schlankere Wolkenstürmer konnte Caramon
leicht mit seinen Klauenfüßen von Plateau zu Plateau tragen. Wo er auch hinkam, war Caramon der Neugierde der
Kyrie ausgesetzt, auch wenn er unweigerlich herzlich empfangen wurde. Während vor allem die Frauen in ihrer Kyriesprache über ihn schwatzten, benutzte der Großteil der
Vogelmenschen in seiner Gegenwart die Gemeinsprache.
Ihre Gastfreundschaft war überwältigend. Viele von ihnen
schienen die Geschichte seiner Flucht und seine Beziehung
zu Morgenhimmel bereits zu kennen.
Manche der Kyriehöhlen waren so groß, daß sie ein Dutzend Familien beherbergen konnten, wie Caramon bemerkte, während andere Familien lieber für sich allein in sonnenerhellten Mulden am Fuß der Klippen lebten. Die gelegentlichen Holzbalken und Leitern, die Caramon sah, waren von meilenweit her durch die Luft geschleppt worden,
wie Wolkenstürmer ihm erzählte. Holz wuchs in dieser
Höhe nicht und war ein rechter Luxus und daher ein Statussymbol.
Die zähen, schlauen Kyrie hatten sich zum Überleben
einzigartig auf ihre Umgebung eingestellt, die bei Tag heiß
und ausgedörrt war, bei Nacht kalt und trocken. Regenwasser war kostbar. Der wenige Regen wurde in Becken
am Grund des Canyons aufgefangen, wohingegen nur eine
kleine Menge oben in den Höhlenstädten aufbewahrt wurde, wo die Feuchtigkeit wegen der unablässigen Einwirkung von Sonne und Wind rasch verdunstete. Die Kyrie
hatten in den Felsboden Bewässerungskanäle gegraben
und Dämme errichtet. Die Kanäle waren tief, damit weniger Wasser der Sonne ausgesetzt war, und schmal, damit
man sie in kalten Nächten abdecken konnte.
Eselhasen, Wildkaninchen, Maultierhirsche und kleine
Nager versorgten die Kyrie mit Fleisch. Die Männer, denen
diese Pflicht auferlegt war, gingen täglich auf die Jagd.
Obwohl die Kyrie kein Bauernvolk waren, besaß jede Familie einen kleinen, bewässerten Garten. Der Garten ergänzte
ihre Mahlzeiten mit Kaktusfeigen, Nüssen, Bohnen und
Samen. Bei Streifzügen durch die Täler sammelten sie wildes Getreide. Als
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