Der Bund der Illusionisten 1
überschaubarer und hinterlieÃen weniger Spuren. Mit Erleichterung stellte ich fest, dass Pinar am zweiten Tag verschwand, begleitet von einer Gruppe von etwa zehn Karden.
Ich verbrachte viel Zeit damit, Temellin zu beobachten und nach Anzeichen dafür zu suchen, dass er mehr als nur ein Mensch warâ ein Wesen, das der Folter und seinen Folterern widerstehen konnte. Jemand, der sich über seine Erniedrigung erheben und einer Frau, die in die Todeszelle gekommen war, um ihn zu benutzen, ins Gesicht lachen konnte. Der eine Feuersbrunst überleben konnte, die dazu gedacht gewesen war, ihn zu verbrennen. Ich beobachtete ihn, aber ich fand nichts.
Ich sah nur einen Mann mit sehr viel Energie, der stets in Bewegung zu sein schien und denen, die in seiner Obhut waren, gut zuredete, sie ermutigte und weiterdrängte. Ich war neidisch auf den ungezwungenen Umgang, den er sowohl mit den einfachen Karden pflegte wie auch mit den Magori, ganz besonders, als ich bemerkte, dass sie ihn sehr wohl respektierten. Wenn er einen Befehl gab, wurde er unverzüglich von den gleichen Leuten befolgt, die ihn am Lagerfeuer am Abend neckten oder mit vorlautem Wortgeplänkel in entspannteren Momenten aufzogen.
Wo immer der Illusionist war, erklang Lachen; oft genug sein eigenes. Er lachte viel; nicht mit dem Zynismus, der Brands Erheiterung kennzeichnete, sondern mit dem groÃherzigen Humor, der in der Liebe zum Leben wurzelt, der Liebe zur Menschheit. Tief in meinem Inneren wunderte ich mich über dieses Lachen: Wie konnte er, der so viel gesehen hatte, das ihn verletzt haben musste, der Welt noch mit dieser kindlichen Freude begegnen?
» Ist er immer so gutgelaunt?«, fragte ich einmal Garis, als wir Seite an Seite ritten.
» Temellin? Die meiste Zeit, ja. So ist er.« Er sah mit beinahe zärtlicher Miene zum Illusionisten hinüber. » Aber er kann auch wütend sein. Cabochon hilf, wenn er jemals die Beherrschung verliert. Seine Zunge könnte einen Kadaver über kalter Asche verbrennen, und er schreckt auch nicht davor zurück, jemanden zu schlagen, wenn er wirklich verärgert ist. Es ist allerdings viel nötig, um ihn so wahnsinnig zu machen«, fügte er hinzu. » Und seine Wut hat dann immer einen nachvollziehbaren Grund.«
» Du siehst ihm ziemlich ähnlich. Seid ihr verwandt?«
» Nur entfernt. Meine Eltern waren keine Magoroth. Ich bin einer der seltenen Fälle, in denen Eltern von geringerem Rang ein höherrangiges Kind bekommen; so etwas passiert gelegentlich. Aber die anderenâ die sind alle miteinander verwandt. Es wird gewöhnlich innerhalb des jeweiligen Rangs geheiratet, weil niemand das Magorblut verwässern will, das man besitzt, schon gar nicht jetzt. Korden und Temellin und Pinar sind alle Vettern und Kusinen ersten Grades. Jessah und Jahan sind Bruder und Schwester, Ungar ist die Kusine von Kordens Frauâ¦Â«
» Aber Jessah und Jahan sind doch gewiss verheiratet!«, wandte ich ein.
Er nickte ungerührt. » Ja. Das ist bei den Magori so üblich. Es bringt starke Kinder hervor, sowohl körperlich als auch, was ihre Fähigkeiten als Magor betrifft.«
Ich war entsetzt. Brüder heirateten Schwestern? » Das ist abstoÃend. Und es führt auch zu Idiotie«, sagte ich schlieÃlich, als mein Ekel so stark auf der Zunge lag wie Galle. Der tyranischen Mythologie zufolge hatte die inzestuöse Liebe zwischen Zestus und Caprice, Tyrs Gründern, unser Volk beinahe in den Untergang gerissen. Obwohl sie von den Göttern wiederholt gewarnt worden waren, hatten sie ihnen weiter getrotzt und ihre Beziehung fortgesetzt, so dass die Götter sie schlieÃlich bestraftenâ und auch Tyr, weil es ihr Verhalten geduldet hatte. Ihre Kinder waren verkrüppelt und verwachsen zur Welt gekommen. Sie waren aufgewachsen und hatten das junge Volk regiert, aber ihre Korruption, ihre achtlose Verschwendung und schlieÃlich ihr Wahnsinn hatten die Stadt in den finanziellen und militärischen Ruin geführt. Pest und Hungersnöte folgten. Es hatte ganze Generationen gedauert, bis Tyrans wieder erblüht war.
» Idiotie?« Garis lächelte. » Das gilt vielleicht für das gewöhnliche Volk, aber nicht für uns. Tatsächlich wird zu solchen Verbindungen ermutigt, sie sind eine Quelle der Stärke.«
» Es istâ unnatürlich. Schrecklich!« Ein Teil meines Ekels musste auf mein Reittier
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