Der Bund der Illusionisten 3: Brennender Wind (German Edition)
unterhielten, die sie an die Magoroth verliehen, die hier vorbeikamen.
Einige Stunden, nachdem sie das Dorf verlassen hatten, konnte Garis schließlich nach vorn zeigen und sagen: » Schau, Sam– siehst du die rote Linie am Horizont? Das ist sie. Das ist die Erste Strebe.«
Auch in den nächsten Stunden war die rote Linie nichts weiter als eine Einfassung des Himmels, wo er auf das flache Land traf. Am späten Nachmittag wurde diese Linie schärfer und dadurch zu einem gezackten Durcheinander aus Gipfeln und Einkerbungen; das Ganze sah aus, als hätte ein göttlicher Bildhauer in einem Haufen Lehm ein paar Daumeneindrücke hinterlassen und alles in der Sonne trocknen und hart werden lassen. Abwechselnd im Schatten oder in der grellen Sonne liegend, erstreckte sich das rote Felsgestein der Strebe nach links und rechts, so weit das Auge reichte. Arrant atmete schneller. Sein ganzes Leben war er auf diesen Moment zugelaufen, auf diesen Ort, wo er seine Kindheit hinter sich lassen und seine Hand um den Griff eines Schwertes legen würde, das seine Kräfte verstärken sollte. » Bitte, lass es so sein«, dachte er. » Lass dies all meine Probleme lösen.«
Da er an die gewaltigen Gipfel der schneebedeckten Apenaden gewöhnt war, kam ihm die Strebe– was ihre Höhe anging– allerdings kümmerlich vor, als sie näher kamen, und die Hänge beeindruckten ihn eher mit ihrer künstlerischen Ausstrahlung als mit ihrer Majestät.
Garis lachte, als er sah, dass Arrant nicht sonderlich beeindruckt war. » Glaub mir, wenn du durch die Zitterödnis reitest und der Frost unter den Pfoten deines Reittiers aufbricht, während der Sand der Kruste entflieht und sein tödliches Lied beginnt– dann kommt dir jede Strebe in der Tat ziemlich erstrebenswert vor.«
Arrant nickte und spürte Bedauern; die Zitterödnis zu durchqueren würde ihm nie vergönnt sein. Die Illusion auf der anderen Seite war ihnen jetzt verschlossen. Die Vereinbarung, die ihnen Zugang gewährt hatte– und die von seinem Großvater Illusionist Solad mit den Illusionierern getroffen worden war–, galt nicht mehr. Abgesehen davon war die Illusion jetzt viel zu gefährlich. Die Illusionierer waren nicht in der Lage gewesen, die Verheerung daran zu hindern, dort Leute zu töten, und das schon vor der Entscheidung, sie zu verlassen. Tarran. Götter, Tarran, es tut mir leid …
» Komm«, sagte Garis. » Wer zuerst oben ist!« Er trieb sein Reittier auf den roten Fels zu, und Sam raste hinter ihm her. Sie war als Erste auf dem Kamm, und Arrant hatte so das Gefühl, dass Garis sie nicht absichtlich hatte gewinnen lassen. Als Arrant die beiden erreichte, erhob ihr Vater gerade Einwände. » Du hast einen ungerechten Vorteil– dein Reittier muss weniger Gewicht hochschleppen…«
Aber Samia hörte nicht zu. Sie suchte nach Worten, um zu beschreiben, was sie über die Zitterödnis dachte. » Schaurige Katzen! Das ist… das ist…«
» Schaurig?«, schlug ihr Vater vor.
Sie verzog angesichts seiner Albernheit das Gesicht. » Nein! Es ist wunderbar!«
Arrant musste ihr zustimmen. Die Landschaft unter ihm war faszinierend und lockte ihn. Eine weitere rote Linie war gerade noch am Horizont sichtbar, und zwischen ihm und jener weit entfernten Barriere … purpurner Sand, der in dichten Wirbeln und Strudeln durch die Luft wogte wie vom Wind vorangetriebene Gischt, die von einer unaufhörlichen Brandung in die Luft geschleudert wurde. Die Körner sangen, während sie flogen.
Er glitt von seinem Reittier und begann, den Hang hinunter und zum Rand des Felsens zu gehen, wo der Sand an die Strebe stieß, als würden Wellen an ein Ufer schwappen. Götter, war das schön. Und unheimlich. Er zitterte, und Angst schnürte ihm die Kehle zu. Dieser Sand konnte binnen eines Augenblicks töten.
» Kannst du ihn hören?«, fragte Temellin, der sich neben ihn an das seltsame Ufer stellte.
» Ja.« Oh ja. Das geflüsterte Lied war melodisch, und doch entzog es sich irgendwie seinem Verständnis. Er bemühte sich, genauer zuzuhören, dachte, er könnte vielleicht in der Lage sein, Wörter zu erkennen– aber je mehr er sich bemühte, desto unbestimmter wurde die Bedeutung. » Wie Sand, der vom Wind in kleinen Fetzen weggerissen wird«, sagte er. » Es ergibt nie ganz einen Sinn.« Er drehte sich zu Temellin um. » Wieso fliegen die Sandkörner im Wind nicht davon?«
» Sie werden zueinander hingezogen. Du kannst ein einzelnes Korn nicht vom Rest trennen. Wenn du eines nehmen und
Weitere Kostenlose Bücher