Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
einer Weile wischte sich Margund die Tränen aus den Augenwinkeln und fuhr fort: »Schaut, die beiden ältesten seiner Söhne kamen bei Kampfhandlungen um die Sankt Maximiner Abtei ums Leben.«
»Sie kämpften auf der Seite Alberos gegen Heinrich von Luxemburg, nicht wahr?«
»Ja, und verloren ihr Leben. Nachdem Burkhard Gott lange genug verflucht hatte, ohne dass es seinen Schmerz linderte, begann er auf Erden nach einem Schuldigen für den Tod seiner Söhne zu suchen.«
»Ja, das habe ich schon erfahren«, flüsterte Laetitia und strich Margund tröstend über den Arm. »Und deswegen hat sich Burkhard mit dem Erzbischof überworfen, den er für die Fehde verantwortlich machte.«
Margund zuckte die Achseln. »Ach, nicht allein mit ihm. Ihr müsst wissen, dass Burkhard zeit seines Lebens ein Mann der Tat war. Ihm war nicht möglich, Dinge einfach auf sich beruhen zu lassen, schon gar nicht solch entscheidende wie den Tod seiner Söhne. Daher wühlte er unablässig in der Vergangenheit. Mehr als den Erzbischof machte er bald schon einen anderen Menschen für ihren Tod verantwortlich und hielt damit nicht hinterm Berg.«
»Einen anderen Menschen? Wen denn um alles in der Welt und vor allem warum? Oder wusste er etwa die Namen derer von der Gegenseite, die seine Söhne auf dem Gewissen hatten?«
»Nein, natürlich nicht. Das war im Gewirr der Kamphandlungen völlig ausgeschlossen.«
»Wen oder was meinte er denn dann?«
»Das eben weiß ich nicht. Bloß, dass Burkhard voller Wut war und einem Schuft, wie er sagte, an den Pelz wollte.«
Laetitia wurde nachdenklich. War dies etwa ein Fingerzeig dafür, dass seltsame Dinge in der Schlacht vorgefallen waren? Dinge, die Burkhard zu der felsenfesten Überzeugung brachten, dass seine beiden Söhne nicht im Kampf Mann gegen Mann ihr Leben verloren hatten, sondern einer üblen Machenschaft zum Opfer gefallen waren? Hatte sich Burkhard in seinem Schmerz etwas völlig Widersprüchliches zurecht gesponnen oder war er einem erschütternden Geheimnis auf der Spur?
Trotz der Kälte, die den finsteren Kerker ausfüllte, stieg das Blut Laetitia heiß in den Kopf. Eine fiebrige Spannung flammte in ihr auf. Beim Versuch, das soeben Erfahrene zu deuten, drängte sich ihr eine Interpretation auf, die mit jeder Sekunde ungeheuerlicher erschien. Sie begann, die Bedeutung der mit roter Schnur umwickelten Pergamentrolle zu erahnen, die Burkhard in seiner goldbeschlagenen Schatulle wie einen kostbaren Schatz aufbewahrt hatte. Das Pergament skizzierte den an der Moselbrücke liegenden Teil der Stadt und sprach in den Anmerkungen am Rande von Sichtweiten, Entfernungen und Zeitangaben zum Erreichen des ein oder anderen Punktes. Was, wenn Burkhard anhand der Zeichnung Geschehnisse aus den Kämpfen rekonstruiert hatte? Was, wenn in ihm die felsenfeste Überzeugung gebrannt hatte, dass seine Söhne Opfer eines Verbrechens wurden? Und welch anderem Verbrechen hatte Burkhard unter den gegeben Umständen auf der Spur sein können als Verrat? Verrat in Zeiten des Krieges, das schlimmste Vergehen, das man sich vorstellen konnte!
Laetitia zweifelte, dass Burkhard sich in eine irrsinnige Idee verrannt hatte. Nein, etwas Stichhaltiges musste hinter seinen Vermutungen gesteckt haben: Wie sonst wäre zu erklären, dass er jemanden mit seinem Wissen erpressen konnte? Und das wohlgemerkt so erfolgreich, dass es zum Äußersten gekommen war? »Verrat bei der Maximiner Fehde«, murmelte sie mehr zu sich als zu Margund, »mein Gott, diese Sache beginnt Ausmaße anzunehmen, die mein Vorstellungsvermögen sprengen.«
Der Schrecken hatte ihr Herz zum Jagen gebracht und machte es ihr schwer, den Faden ihrer Überlegungen wieder aufzunehmen: Ob Burkhard Gerwin immer wieder Geld zugesteckte hatte, um an Aufzeichnungen über die Fehde zu kommen? Existierte irgendwo in den Berichten ein Hinweis auf Verrat? »Ihr müsst mir alles erzählen, was Ihr über den Kampf wisst, in dem die jungen Männer fielen!« Entschlossen packte Laetitia die Katharerin bei den Armen und schüttelte sie. »Egal wie unwichtig es Euch vorkommen mag oder welch schlimme Erinnerung es in Euch weckt. Ich bin davon überzeugt, dass hier der Schlüssel des Ganzen liegt!«
Margund wandte sich mit fahler Miene ab und schloss für den Bruchteil von Sekunden die Augen, um sich zu sammeln. Dann begann sie mit zögerlicher Stimme, die viel Überwindung verriet: »Es war vor drei Jahren, eines Morgens Anfang Oktober. Die Stadt war beinahe
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