Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
das Besuchsrecht bei Wilhelm durchgesetzt hatte. Vielleicht hatte das Mädchen am Abend des Mordes jemand Verdächtiges beobachtet oder etwas Merkwürdiges an Burkhards Verhalten bemerkt, das Rückschlüsse auf das Verbrechen erlaubte? Und wusste Margund etwas über die Bedeutung des Amuletts mit der silbernen Lanze?
Laetitia fröstelte. Sie wischte sich eine vom Regen dunkel gefärbte Strähne aus der Stirn und klopfte an die schwere Tür. Mit unwilliger Trägheit schob der Wächter eine quietschende Lade empor, woraufhin ein einziges, von einer buschigen Braue überspanntes Auge sichtbar wurde, das ihr mehr mürrisch als feindselig entgegenglotzte. Diesmal würde sie sich nicht von ihm abweisen lassen, dachte Laetitia fest entschlossen. Erstens hatte sie die Erlaubnis von Wilhelm und zweitens ein Argument, das meist überzeugte: Dicht vor das Guckloch hielt sie eine glänzende Münze, gleich noch eine zweite und verlangte, zu Margund vorgelassen zu werden. Sofort begann das Auge zu leuchten und ein erfreutes Glucksen war zu hören. Ohne weiteres Aufheben öffnete der Wärter die Tür. Von Ekel erfüllt und gefasst auf das Schlimmste, betrat Laetitia das Gefangenenhaus, aus dem ihr ein abscheulicher Geruch entgegenströmte. Schützend hielt sie den Ärmel ihres Gewands vor die Nase. Es stank nach Dreck, Schweiß, menschlichen Ausscheidungen, nach Elend und geraubter Würde. Rascheln deutete daraufhin, dass sich Ratten und anderes widerliches Getier auf dem strohbedeckten Boden tummelten.
Zögerlich schob Laetitia Fuß um Fuß vor. Mein Gott, in welch ekelhaftem Loch musste Margund seit zwei Wochen hausen! Der derbe Gefangenenwärter, der mit seinen nach vorn gebeugten Schultern und überlangen Armen eine frappante Ähnlichkeit mit einem Bären aufwies, zerrte ruckend einen Eisenriegel zur Seite. Während er in verächtlicher Bewegung die Tür aufschob, knurrte es zwischen seinen fleckigen Zähnen hervor: »Hier ist die Mörderin, ruft nach mir, wenn Ihr aus diesem Loch wieder heraus wollt.«
Laetitia ergriff dankbar die Binsenlampe, die der Wächter entzündet hatte, bevor er seinen grobschlächtigen Körper davon wälzte. Widerstrebend betrat sie die Zelle, in welche der Schein der Lampe nur einen schmalen Kegel Helligkeit warf. Durch die vier schmalen Öffnungen in der Mauer, die kaum Fenster genannt werden konnten, drang wenig Tageslicht herein. Kein Wunder, dass es derart modrig hier roch. Mit metallenem Klirren fiel die Tür hinter Laetitia ins Schloss. Ihre Augen benötigten etwas Zeit, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Daher bemerkte sie erst nach Sekunden Margunds gekrümmte Gestalt auf dem schmutzigen Boden. Als Laetitia zaghaft die Lampe höher hielt, stockte ihr der Atem.
Margunds vormals rosiges Gesicht war schmal und von wächserner Blässe, ihre braunen Augen waren unterzogen von grauen Schatten, die sie gespenstisch groß wirken ließen. Das Haar klebte ihr am Kopf und ihr gesamter Körper starrte vor Schmutz. Wie angewurzelt stand Laetitia da, überwältigt von ihren Empfindungen fühlte sie sich außerstande, ein einziges Wort zu sagen. Margunds erschöpftes Gesicht hingegen glättete sich, als sie in dem Besucher ihren Fürsprech Laetitia erkannte. Eine sanfte Woge der Erleichterung breitete sich über ihre Wangen aus, wie bei einem kleinen Mädchen, das sich die Beine aufgeschlagen hat und von der großen Schwester tröstend in den Arm genommen wird. Laetitias vorheriger Mut fing an zu bröckeln. Das besserte sich keineswegs, als Margund ihr eine bange Frage nach der anderen zuflüsterte: »Hat man endlich begriffen, dass ich unschuldig bin? Haben Alberos Männer die Frau mit den leuchtend roten Haaren aufgegriffen?«
»Ähm, nun … «
»Sie hat das Gesicht des Mörders deutlich unter der Kapuze sehen können, oder? Obschon, es war natürlich ziemlich finster. Kennt sie den Kerl?«
Laetitias Unruhe wuchs. Nichts – gar nichts – hielt sie in Händen, womit sie einen Lichtstreif Hoffnung in Margunds Situation bringen konnte. Zögerlich berichtete sie, wie unglücklich ihr Versuch verlaufen war, sich mit Brigitta zu treffen. In Margunds Augen, die sie fiebrig aus dämonenhaft bleichem Gesicht anstarrten, flackerte Angst auf. Nein, sie durfte nicht zulassen, dass Margund verzweifelte, sagte sich Laetitia. Noch bevor Margund wiederum eine Frage aufwerfen konnte, schnitt sie ihr das Wort ab. »Margund, Ihr müsst mir alles erzählen, was Ihr wisst! Hat Burkhard Euch gegenüber jemals
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