Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
menschenleer. Die Leute befanden sich in den umliegenden Hügeln bei der Weinlese. Der Sommer hatte viel Sonne beschert und die Trauben waren süß und prall. Nie vergesse ich den Tag, als das Schreckliche geschah. Heinrich ging schlau vor. Bewusst muss er auf diese Gelegenheit gewartet haben. Diese eine Gelegenheit, um Trier den fürchterlichen Schlag zu versetzen.«
Laetitia spürte, welchen Kummer es Margund bereitete, das mühsam Verdrängte in die lebendige Erinnerung zurückzuholen.
»Wir wähnten uns zu jener Zeit einigermaßen sicher. Heinrich von Luxemburg hatte uns zuvor bereits unsäglichen Schaden zugefügt, sodass wir nicht damit rechneten, dass er einen bewaffneten Angriff auf Trier noch für notwendig halten würde.«
Laetitia nickte zum Zeichen, dass sie Bescheid wusste. »Ich habe davon gehört. Heinrich schwächte Trier, indem er Vieh von den Weiden und aus den Ställen des Umlands stahl?«
»Ja, und er brannte unsere Ernten nieder. Viele Ackerflächen machte er für Monate unbrauchbar, indem er Gift verstreute.«
»Und mit den Händlern und Pilgern wird er ebenfalls nicht zimperlich umgegangen sein.«
Was es bedeutete, wenn das einträgliche Geschäft mit spendenfreudigen Pilgern zum Erliegen kam, brauchte Laetitia nun wirklich niemand zu erklären. Weit über die Lande hinaus hatte man davon berichtet, dass Erzbischof Albero an den Rand der Belastbarkeit geraten war, denn er musste in seiner Eigenschaft als Geleitherr tief in die Taschen greifen, um die Unzahl von ausgeplünderten Pilgern und Kaufleuten halbwegs zu entschädigen.
»Das alles war ganz furchtbar, doch war es immerhin besser als ein Blutvergießen«, erklärte Margund.
Laetitia nickte. »Und was geschah an jenem Tag im Oktober?«
»Jenseits der Moselbrücke stellten sich alle jungen Trierer Burschen Heinrichs Truppen entgegen«, fuhr Margund mit wankender Stimme fort. »Sie waren natürlich kampfunerprobt, aber sie wussten sich keinen anderen Rat, denn die älteren Männer arbeiteten ja fast alle in den Weinbergen. Mut trieb die Jungen, doch natürlich fehlte ihnen Erfahrung und Leitung.«
»Das führte zur Katastrophe, das ist nicht überraschend – welch ungleicher Kampf.«
»Ja, es kam zu einem furchtbaren Gemetzel. Ihr könnt mir gerne glauben, dass diejenigen, die der Tod auf der Stelle traf, das leichteste Schicksal hatten. Viele wurden grausig verstümmelt und litten unsäglich, bis auch sie starben. Die Luxemburger Truppen rieben die Trierer Burschen beinahe vollkommen auf. Bevor Heinrich endlich abzog, gelang den auf eine kleine Schar zusammengeschrumpften Überlebenden die Flucht hinter die Stadtmauer.«
Laetitia legte Margund, die am ganzen Körper bebte, tröstend die Hände auf die Schultern. »Und in diesem Kampf verloren die beiden ältesten Söhne Burkhards ebenfalls ihr Leben?«
Margund schüttelte den Kopf. »Nein, da noch nicht. Heinrich von Luxemburg zog sich zurück. Das tat er aber bloß zum Schein. Schon am nächsten Tag näherte sich Heinrich erneut mit seinen Männern.«
»Und griff wieder an?«
»Ja, das tat er. Es herrschte dichter Nebel und zu allem Elend war die Brücke unbesetzt. Auch schützte niemand die Tore. Lediglich der Aufmerksamkeit eines Geistlichen hatten wir es zu verdanken, dass wir den herannahenden Feind entdeckten und ihn schließlich zurückschlugen.«
»Und dabei kamen die beiden ältesten Söhne Burkhards zu Tode?«
Margund nickte unter Tränen. »Ja, sie waren nach Eindringen von Heinrichs Truppen durch das Tor auf der Brücke unter den Ersten, die mutig zu den Waffen eilten.«
Der Regen hatte nachgelassen. Lediglich das Rascheln der Ratten war noch zu hören. Laetitia bedrängten Fragen, die sie gegenüber Margund nicht auszusprechen wagte, denn das Mädchen erschien viel zu erschüttert, um ihr Antwort zu stehen. Es waren drei Umstände, die sie vermuten ließen, dass Burkhard recht gehabt hatte und damals wirklich etwas faul an der Sache gewesen war. Erstens: Wie konnte es angehen, dass die Brücke unbesetzt blieb, nachdem der Erzfeind am Vortag einen solch verheerenden Schlag gegen Trier verübt hatte? Zweitens: Warum standen die Tore nicht unter strenger Bewachung? Und drittens: Warum hatte man keinen Späher ausgesandt, der auskundschaftete, was Heinrich als Nächstes vorhatte? Nachdem Trier den Verlust so vieler junger Männer zu beweinen hatte, konnte man doch dem Feind nicht mit derartiger Naivität begegnen! »War ein Turm wichtig bei diesen Angriffen? Ich
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