Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Man will sie verhören. Man hat sie aufgegriffen und in den erzbischöflichen Palast verbracht!«
Kapitel 8
Laetitia hastete so eilig durch die Straßen, dass ihr die Seiten stachen. Hoffentlich erlaubte Wilhelm ihr, an der Befragung teilzunehmen. Eigentlich wäre das nur gerecht, da er sie als Fürsprech von Margund akzeptiert hatte. Gerade als sie die schmale Gasse erreichte, die auf den Konstantinplatz zulief, jagte ihr ein entsetzlicher Laut durch Mark und Bein. Vor Schreck zusammenfahrend suchte sie Halt an einer Hauswand. Während sie sich mit rasendem Puls gegen das Gemäuer lehnte, bemerkte sie zwei feine rote Rinnsale, die über die steinerne Stiege des Gebäudes liefen und sich mit dem Regenwasser vermischten, das sich in Pfützen gesammelt hatte. Blut, eindeutig Blut.
Laetitias Finger verkrampften sich und wollten sich erst wieder lösen, als sie begriff: Sie war vor dem Schlachthaus angelangt. Den furchtbaren Laut, mit dem sich die schlimmste aller einem Wesen möglichen Ängste entladen hatte, hatte ein zur Schlachtung geführtes Schwein ausgestoßen. Den Tod witternd hatte das Tier im letzten Aufglimmen des Lebenswillens panisch geschrien. Laetitia wischte sich über die Stirn. Doch obgleich sich der soeben durchlebte Schrecken als eine alltägliche Sache herausgestellt hatte, legte sich eine sonderbare Beklemmung über ihren Körper, die nicht weichen wollte.
Ein paar Schritte später glänzte durch den Dunst, der vom regennassen Boden des Konstantinplatzes aufstieg, das Rot des mächtigen Ziegelbaus, an dessen Mauern sich der weiße Putz nur an winzigen Stellen hielt. Laetitia fasste sich an die Kehle. Sie hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge, als sie in nebliger Ferne das südliche Stadttor und die Überreste der römischen Bäderanlage erahnte, unweit derer ihr vor wenigen Tagen Brigitta aufgelauert und eine Klinge an den Hals gedrückt hatte. An jenem Abend hatte sie Todesangst ausgestanden, doch mit Genugtuung stellte sie fest, dass die Zeichen mit Gottes Hilfe heute anders standen. Diese Frau wurde nun mit gefesselten Händen vor Wilhelm geführt und der kannte bestimmt Wege, sie zum Sprechen zu bringen.
Aus dem Geäst einer Eiche drang das dunkle, einsame Krähen eines Raben. Klang es nicht wie eine verschlüsselte Botschaft, ja ein übles Vorzeichen, das die Hoffnungen auf eine klare Zeugenaussage dämpfte? Kaum merklich schüttelte Laetitia den Kopf. Es wurde höchste Zeit, dass sie wieder unter Menschen kam. Die bedrückende Atmosphäre im Kerker hatte ihr so sehr zugesetzt, dass sie auf die harmlosesten Wahrnehmungen mit düsteren Stimmungsschwankungen reagierte. Ohnehin schien ihr angeraten, sich zu sputen – nicht, dass die Vernehmung schon im Gange war! Glücklicherweise brauchte es nicht vieler Worte, um den Wächter, der das Tor in der Ludolf´schen Mauer schützte, zu überzeugen. Offenbar hatte man ihm angekündigt, dass Laetitia vorsprechen würde.
Sie lief an der Laurentiuskirche vorbei und erreichte bald darauf die Eingangspforte der Basilika. Beherzt griff sie nach dem Türklopfer, dessen metallenes Pochen die Stille zerriss. Während sie wartete, sah sie an der Fassade empor. Ganz weit in den Nacken musste sie ihren Kopf legen, um an dem imposanten Gebäude bis zur Mauerkrone hinaufsehen zu können. Dabei ergriff sie ein Schwindel. Sie fühlte sich mit einem Mal winzig klein und die sonderbare Angst, die sie schon beim Schlachthaus befallen hatte, ließ eine Gänsehaut über ihren Nacken kriechen. Dies besserte sich keinen Deut, als sich die Tür knarrend auftat und Laetitia die Vorhalle betrat, an die sich ein riesiger Saal anschloss. Die Atmosphäre hier drinnen versprach nicht mehr Vertrauen oder Wärme als draußen, im Gegenteil: Kälte strömte Laetitia entgegen.
Sie fasste nach ihrem Umhang und zog ihn am Hals zusammen. Einen Moment hielt sie inne und sah um sich. An den Seitenwänden waren Fragmente von farbigen, prachtvollen Mosaiken aus römischer Zeit verblieben. Laetitia machte darauf Darstellungen von starken, halbnackten Männern aus, die gegen Bären und fremdartige Tiere kämpften, die ihr wie Fabelwesen anmuteten. Gewiss ahmten diese Szenen die Spiele nach, mit denen sich die Menschen zu Kaiser Konstantins Zeiten am Fuße des Petrisberges amüsierten: Heute nutzten die Himmeroder Mönche das Gelände als Steinbruch für die Bauarbeiten an ihrem Kloster, doch damals sollte das enorme Amphitheater tausenden Trierern Platz geboten haben, die
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