Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
ganzen Körper Schnittwunden, Prellungen und Kratzer hatte. Doch Aluns Wut hatte kein klares Ziel, und nach einem besonders wilden Ausfall mit dem Schwert war er völlig schutzlos. Der Wächter machte einfach einen Schritt auf ihn zu und stach ihm das Messer in die Brust.
Erleichterung durchströmte Aluns sterbendes Bewusstsein, seine Kinder riefen ihn, und er glaubte noch zu hören, wie der Mann sagte, dass es ihm leidtat.
Ismans Gesicht tauchte in Ilkars Blickfeld auf, und abermals wünschte der Magier sich, es sei alles schon vorbei. Die Kampfgeräusche waren ein Stück entfernt, aber allzu deutlich, und er wollte, dass sie aufhörten.
»Und jetzt zu dir, Ilkar vom Raben.« Ilkar konnte nur die Augenbrauen hochziehen und auf den Hieb warten, der nicht kam. Stattdessen sank Isman mit erschrockenem Grunzen auf die Knie, dann kippte er auf den Rücken. Ein Pfeil ragte aus seinem rechten Auge.
Schritte waren zu hören, die sich näherten, dann waren sie vorbei, kehrten wieder zurück.
Endlich sah Ilkar ein weiteres Gesicht. Es gehörte einem Fremden. Einem Elf.
»Wer bist du?«
»Jandyr. Wir haben keine Zeit zum Reden. Hirad braucht Hilfe. Du bist doch ein Magier?«
»Hirad ist tot«, sagte Ilkar. Kälte erfüllte sein Herz, als er die Worte aussprach.
»Nein, er ist nicht tot. Noch nicht.«
Als er sich aufsetzte, erinnerte ihn ein stechender Schmerz daran, dass seine Lunge von den zerbrochenen Rippen zerfetzt worden war. Es stand auf Messers Schneide, wer zuerst sterben würde.
Thraun schob sich an Erienne vorbei, als sie den Wachraum betreten hatten, und erreichte die Wendeltreppe vor ihr. Oben fand er Aluns Leichnam und einen Bewaffneten, der ihn verwirrt anstarrte.
»Oh, nein«, sagte der Mann.
»Oh, ja«, sagte Thraun und zog dem Mann die Klinge durch die Rippen, bis sie an der Wirbelsäule hängen blieb. Ein frischer Blutstrom ergoss sich über die Leichen der Jungen. Er zog sein Schwert heraus und sah sich einen Moment
in der Leichenkammer um, ehe Erienne die Tür erreichte und ihre abgeschlachteten Angehörigen sah.
»Ich …«, begann Thraun, doch der Ausdruck ihrer Augen brachte ihn zum Schweigen, als hätte ihn ein Faustschlag getroffen. Sie schritt über Alun hinweg, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, und trat ans Bett. Thraun zog sich zurück und bewachte die Tür.
Erienne sagte nichts. Sie streckte zwei ruhige Hände zu ihren beiden Kindern aus, strich ihnen das verfilzte Haar aus den Gesichtern, streichelte ihre Wangen und fuhr mit den Fingern über ihre Lippen.
Thraun beobachtete sie, und Mitleid rang mit Bewunderung, als er ihre Haltung sah. Doch dann drehte sie sich um, und wenn ihre Wut ein Licht gewesen wäre, dann hätte es ihn geblendet. Die Luft rings um sie schien zu knistern und zu brennen unter ihren Augen. Ihr Mund, eine schmale Linie nur, blieb unbewegt, doch die Kaumuskeln spielten, als sie die Zähne zusammenbiss.
Das Geräusch von Schritten brachte Thraun wieder zu sich. Er drehte sich um und baute sich mit gezogenem Schwert vor der Tür auf.
»Geh zur Seite!« Wie das Schlagen einer Totenglocke duldete auch Eriennes Stimme keinen Widerspruch.
Thraun wich einige Schritte zurück. Er wandte sich zu ihr um und sah, wie sie die Hände vor dem Gesicht zusammenlegte. Es wurde kalt im Raum und roch nach Frost.
Die Macht war erschreckend, und sein Puls schlug schneller. Er riss sich von ihr los und sah wieder zur Tür. Schritte polterten auf der Wendeltreppe, dann war ein weiteres Paar Füße zu hören, jemand schnaufte angestrengt, ein Schatten tauchte auf, und eine kleine, drahtige und verängstigte Gestalt war zu sehen. Thrauns Herz setzte vor Schreck aus.
»Erienne, wartet!« Doch sie hatte schon die Hände ausgestreckt. Der Spruch war bereit. Sie öffnete die Augen, ihr Mund sprach das Befehlswort, und die Temperatur im Zimmer sank schlagartig.
»Will, duck dich! Runter!« Thraun warf sich vor Wills Beine, und sie stürzten in einem wirren Haufen zu Boden. Eriennes Eiswind brauste über ihre Köpfe hinweg und traf Selik mitten auf der Brust, als er die Tür erreichte. Der Krieger taumelte einen Schritt zurück, ließ die Waffe fallen und brach mit blauen Lippen, glasigen Augen und weißen Händen zusammen. Als er auf den Boden prallte, zersprang sein Körper in tausend Stücke.
Thraun rappelte sich auf und zog Will hoch. Erienne eilte schon an ihnen vorbei und lief die Treppe hinunter.
»Erienne, wartet!«, rief Thraun. Doch sie schüttelte den
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