Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
anderen Kollegien an Xetesk geben wird.«
»Wir freuen uns schon darauf.«
»Da gehe ich jede Wette ein.« An der Tür drehte Ilkar sich noch einmal um. »Bist du hungrig? Ich kann dir den Weg zur Küche zeigen.«
»Danke, Bruder.«
Ilkars winziges Lächeln verschwand sofort wieder. »Ich bin nicht dein Bruder.«
4
Erienne saß im abgelegenen Turmzimmer auf dem Doppelbett, in jedem Arm einen ihrer Söhne. Ihr Körper war endlich zur Ruhe gekommen, so kurz die Verschnaufpause auch sein mochte, und ihre Kinder weinten nicht mehr.
Doch die Jungen hatten an ihr gezweifelt, und den Moment des Wiedersehens würde sie ihr Lebtag nicht mehr vergessen. Oben auf der Wendeltreppe sich selbst überlassen, hatte sie den Türgriff gepackt und die Tür geöffnet. Halb erwartete sie schon, ihre Kinder tot zu sehen, doch die beiden saßen nebeneinander auf der Bettkante und flüsterten miteinander. Essen und Trinken standen ignoriert und kalt auf dem Tisch, der außer den beiden Stühlen das einzige weitere Möbelstück war. Der kalte Stein des Fußbodens war nicht einmal mit einem Läufer bedeckt.
Sie hatte sie einen Augenblick lang betrachtet, das etwas zerzauste, widerspenstige braune Haar, die runden Gesichter, die hellblauen Augen, die kleinen Nasen, die leicht abstehenden Ohren und die Hände mit den langen Fingern. Ihre Jungen. Ihre wunderschönen Jungen.
Dann hatten die beiden gleichzeitig die Gesichter zu ihr
herumgedreht, und sie hatte die Arme ausgestreckt und einen Hass wahrgenommen, wie sie ihn noch nie verspürt hatte. Denn einen kleinen Augenblick lang hatten die Kinder in ihr nicht die Mutter und Beschützerin gesehen, sondern eine Verräterin. Eine Frau, die zugelassen hatte, dass sie verschleppt und eingeschüchtert wurden.
So hatte sie in der Tür gestanden, aufgelöst und barfüßig, das Nachthemd fleckig und zerrissen, im Gesicht noch die Spuren von Brophane, das Haar zerzaust. Die Tränen waren ihr in die Augen geschossen und hatten eine helle Spur auf die vom Staub verschmutzten Wangen gezeichnet.
»Ich bin hier, eure Mutter ist hier.« Sie waren ihr in die ausgebreiteten Arme gestürzt, und alle drei hatten geweint, bis sie nichts mehr wussten, außer einander zu halten und zu hoffen, dass sie nie wieder voneinander getrennt werden würden. Jetzt saßen sie zu dritt auf dem Bett, die Knaben hatten die Köpfe an ihre Brust geschmiegt, und sie hatte die Arme um sie gelegt und streichelte sie sachte.
»Wo sind wir, Mami?«, fragte Thom, der links neben ihr saß. Erienne drückte die Jungen an sich und sah böse zur verschlossenen Tür, vor der, wie sie wusste, Isman stand. »Ich muss ihnen helfen und einige Fragen über die Magie beantworten, und dann lassen sie uns gehen.«
»Wer sind sie?« Verwirrt und verunsichert sah Aron seine Mutter an. Sie spürte, wie sich seine Hand in ihrem Rücken verkrampfte.
»Wenn wir daheim sind, werde ich euch alles über sie erzählen. Es sind Menschen, die die Magie verstehen möchten, und was die Menschen nicht verstehen, das macht ihnen Angst. So war es schon immer.«
»Wann können wir nach Hause gehen?«, fragte Aron.
Erienne seufzte. »Das weiß ich nicht, meine Lieben. Ich weiß auch nicht, was sie mich fragen wollen.« Sie lächelte,
um die Spannung zu brechen. »Ich sag euch was. Wenn wir wieder zu Hause sind, dann sollt ihr selbst auswählen, was ihr als Nächstes lernen wollt. Was meint ihr, was soll es sein?«
Die Jungen beugten sich vor, wechselten einen Blick, nickten und sagten gleichzeitig: »Die Kommunion!«
Erienne lachte. »Ich wusste, dass ihr das sagen würdet. Böse Jungs! Ihr wollt das nur lernen, damit ihr euch unterhalten könnt, ohne dass ich es höre.« Sie kitzelte ihnen den Bauch, und sie wanden und wehrten sich. »Böse Jungs!« Sie zauste ihnen das Haar und drückte sie wieder an sich.
»So«, sagte sie schließlich, während sie voller Unbehagen die Teller beäugte. »Ich will jetzt, dass ihr das Brot auf den Tellern esst, aber nichts sonst. Habt ihr verstanden? Ich muss bald gehen und dafür sorgen, dass wir schnell wieder nach Hause kommen. Ich komme später wieder her und unterrichte euch, und ich hoffe, ihr habt nicht schon wieder vergessen, was ich euch letzte Woche beigebracht habe.« Sie wollte aufstehen, doch die Jungen hielten sie fest.
»Musst du wirklich schon gehen, Mami?«, fragte Aron.
»Je eher ich gehe, desto eher sind wir wieder daheim bei eurem Vater.« Wieder umarmte sie die Jungen. »Hört mal, ich werde
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