Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
schon wieder.«
Sirendor nickte. »Mir ist so kalt. Ich will nur …« Seine Stimme brach, und er schloss die Augen.
Hirad legte beide Hände um Sirendors Gesicht, das heiß und verschmiert von seinem Schweiß war.
»Bleib bei mir, Larn. Du darfst mich nicht alleinlassen.«
Sirendor öffnete noch einmal für einen Moment die Augen und fasste Hirads Hände. Die Berührung war so kalt, dass der Barbar zusammenzuckte.
»Es tut mir leid, Hirad. Ich kann nicht. Es tut mir leid, Hirad.« Die Hände fielen herunter, er schloss ein letztes Mal die Augen und starb.
6
»Wer war sie?« Sana durchbohrte Hirad förmlich mit Blicken und flehte ihn an, ihr zu helfen, das Geschehene zu verstehen. Sie hatten sich im Schankraum direkt vor dem Hinterzimmer versammelt. Der Bürgermeister und zwei Leibwächter saßen in der Nähe der Tür des Krähenhorsts an einem Tisch.
Sana hatte sich etwas beruhigt, doch die roten Augen und das bleiche Gesicht waren deutliche Spuren ihres Kummers. Die Rabenkrieger hatten Sirendor auf einen Tisch im Hinterzimmer gelegt und mit einem Laken bedeckt. Sana war hineingestürmt, hatte das Tuch weggerissen und ihn angeschrien, er solle wieder aufwachen, zurückkommen, die Augen öffnen und atmen. Sie hatte auf seine Brust getrommelt, das Haar aus seiner Stirn gestrichen, ihm einen langen Kuss auf die Lippen gegeben und seine Hände gehalten.
Die ganze Zeit über hatte Hirad in der Nähe gestanden und nicht gewusst, ob er sie wegziehen oder ihr zu Hilfe eilen sollte. Sirendor schütteln, bis er wieder erwachte und lächelte. Doch er konnte nur herumstehen und zuschauen
und die Tränen niederkämpfen, während er am ganzen Körper zitterte.
Endlich hatte Sana sich an ihn gewandt, das Gesicht an seine Schulter geschmiegt und leise geschluchzt. Er hatte ihr Haar gestreichelt und das Schweigen der Rabenkrieger bemerkt, und er wusste, dass nun endgültig vorbei war, was einst existiert hatte.
Er hatte sie nach draußen geführt, und sie hatte sich etwas gefangen, bis sie sich von ihm lösen und Fragen stellen konnte. Hirad hatte sich noch nie so elend und nutzlos gefühlt.
»Eine gedungene Mörderin. Eine Hexenjägerin.«
»Aber warum …« Sie konnte kaum sprechen.
»Sie hatte es nicht auf Sirendor abgesehen. Sirendor ist ihr nur zufällig in den Weg gekommen.« Hirad zuckte mit den Achseln. Eine dumme Geste. »Er ist gestorben, weil er einen anderen Mann gerettet hat.«
»Und? Davon wird er nicht wieder lebendig.«
Hirad fasste sie bei den Händen. »Das war ein Risiko, das er jeden Tag eingehen musste.«
»Heute nicht. Heute ist er in den Ruhestand getreten.«
Hirad schwieg einen Augenblick. Er wischte die frischen Tränen fort, die über ihre Wangen rollten.
»Ja, ja, das hat er getan«, sagte er schließlich. »Ich werde denjenigen erwischen, der dafür verantwortlich ist.«
»Ist das deine Antwort darauf?«
»Es ist die einzige Antwort, die ich geben kann.« Wieder zuckte er mit den Achseln.
»Es wird Nacht, Hirad. Alles ist verloren.« Und als er ihr in die Augen schaute, da wusste er, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Sie drückte seine Hand ganz leicht, drehte sich um und ging zu ihrem Vater. Hirad sah ihr noch
einen Augenblick nach, dann stieß er die Tür zum Hinterzimmer auf und ging wieder hinein.
Drinnen herrschte Schweigen. Das Feuer knackte im Kamin, alle saßen herum und hielten ihre Gläser in den Händen, aber niemand sprach. Hirad ging zu Sirendors Leichnam. Das Tuch war durch ein neues ersetzt worden. Er betrachtete den Umriss des Gesichts unter dem Tuch, legte eine Hand auf die Hand des Freundes und betete darum, dass diese Finger noch einmal zupacken könnten, obwohl er wusste, dass sie es nie wieder tun würden. Er drehte sich um.
»Warum wollen sie dich umbringen, Denser?«
»Das habe ich ihn auch schon gefragt«, erwiderte Ilkar.
»Und was hat er gesagt?«
»Dass er warten wollte, damit auch du es hören kannst.«
»Ich bin jetzt da, also kann er reden.«
»Komm und setz dich, Hirad«, sagte der Unbekannte. »Wir haben dir ein Glas eingeschenkt. Es wird nicht helfen, aber wir haben dir trotzdem eines eingeschenkt.«
Hirad nickte, gesellte sich zu seinen Freunden und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. Der Unbekannte drückte ihm den Kelch in die linke Hand. Mit der Rechten tastete Hirad unwillkürlich nach Sirendors Stuhl, doch hinschauen konnte er nicht.
»Wir hören, Denser«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme.
»Zuerst möchte ich sagen, dass
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