Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
auf dem kalten Steinboden hörte.
»Der Hauptmann will Euch sofort sehen«, sagte Isman.
»Wenn meine Jungen schlafen«, erwiderte Erienne. Sie sprach leise und streichelte weiter die Köpfe ihrer Kinder, um sie zu beruhigen. Die Jungen sahen sie ängstlich und verunsichert an, und Eriennes Zorn regte sich wieder.
»Der Hauptmann ist der Ansicht, dass Ihr vorerst genug Zeit mit ihnen verbracht habt.«
»Das zu beurteilen ist doch wohl allein meine Sache«, fauchte Erienne.
»Nein«, erwiderte Isman. »Nein, es ist nicht Eure Sache.«
Schließlich drehte sie sich zur Tür um. Isman stand dort mit drei weiteren Männern. Sie beugte sich über die Jungen und küsste sie auf die Stirn.
»Ich muss jetzt gehen«, flüsterte sie. »Seid brav und schlaft. Ich bin bald wieder da und sehe nach euch.« Sie strich ihnen die Haare aus den Gesichtern.
Als sie aufstand, sah sie Isman und seine Handlanger vor sich, und jede Faser in ihr schrie danach, die Männer in Stücke zu reißen. Sie hätte es gekonnt, keine Frage. Doch die unmittelbare Folge davon wäre der Tod ihrer Jungen gewesen. Sie hatten keine Chance, aus der Burg zu entkommen, denn der Hauptmann hatte zu viele Männer. Sie verkniff sich den Spruch, und der Manafluss ebbte wieder ab.
»Ihr werdet eure Muskeln nicht brauchen«, sagte sie. »Ich werde keine Schwierigkeiten machen.«
»Ihr und Eure Leute habt uns schon genug Schwierigkeiten gemacht«, antwortete Isman. Er führte sie in die Bibliothek.
Trotz der Wärme, die von den Kaminfeuern ausstrahlte, war die Luft kühl. Der Hauptmann saß an einem Lesetisch,
zwei kleine Lampen beleuchteten das Buch, das er gerade studierte. Eine halb geleerte Flasche Schnaps stand links von ihm, direkt daneben ein gerade gefülltes Glas. Er schaute nicht auf, als sie über die Teppiche zu ihm hinüberging, nachdem Isman sie in den Raum geschoben, sich zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Setzt Euch.« Der Hauptmann wies auf einen Stuhl mit harter Lehne, der vor dem Schreibtisch stand. »Und nun sagt mir«, fuhr er fort, immer noch ohne aufzuschauen, »warum Xetesk hinter Dawnthief her ist?«
»Ich denke, das sollte doch offensichtlich sein«, erklärte Erienne.
Der Hauptmann starrte sie verständnislos an, seine Stimme war kalt. »Nehmt an, dass es nicht offensichtlich ist.«
»Wer Dawnthief besitzt, hat große Macht. Was glaubt Ihr sonst, warum sie ihn haben wollen?« Sie blieb äußerlich ruhig, doch in ihrem Innern tobte ein Sturm, und Ihr Herz pochte heftig in der Brust. Sie hatte alle anderen Gedanken aus ihrem Kopf verbannt, solange sie bei Aron und Thom war, doch jetzt beängstigte sie die Tragweite dessen, was der Hauptmann ihr gerade anvertraut hatte.
»Ihr müsst wissen, dass es nicht viele schriftliche Informationen darüber gibt«, sagte er. »Wie groß sollten die Sorgen sein, die ich mir deshalb mache? Könnte Xetesk ihn finden?«
»Bei den Göttern, ja, wir alle sollten uns deshalb Sorgen machen.«
»Können sie ihn finden?«
»Das weiß ich nicht.« Erienne biss sich auf die Unterlippe.
»Diese Antwort ist nicht sehr hilfreich.« Der Hauptmann erhob ein wenig die Stimme, und sein Gesicht bekam einen rötlichen Schimmer.
»Nun, es kommt vor allem darauf an, den Zugang zu Septerns Werkstatt zu finden. Wenn man diese Informationen hat, dann kann man vermutlich den ganzen Spruch rekonstruieren, würde ich meinen. Aber dies sind nur Spekulationen.«
»Ihr helft mir immer noch nicht«, warnte der Hauptmann.
»Ich helfe Euch am besten, indem ich Eure Befürchtungen und Informationen nach Dordover übermittle. Das wäre der schnellste Weg, diese Entwicklung aufzuhalten oder wenigstens unter Kontrolle zu bekommen.«
Der Hauptmann nahm einen großen Schluck und füllte sein Glas auf. Er lächelte. »Das habt Ihr Euch nett ausgedacht, aber ich werde Euch sicher nicht bei Euren Vorgesetzten Bericht erstatten lassen, nur damit dann zwei Kollegien die gleiche Beute jagen, nicht wahr? Vielleicht sollte ich Euch auch noch erklären, dass ein Versuch der Kommunion höchst unklug wäre. Ich besitze die Fähigkeit, einen solchen Spruch zu spüren, und dies wäre für Eure Jungen leider tödlich.«
Erienne riss erschrocken den Mund auf. Es gab nur eine Möglichkeit, wie er so etwas vollbringen konnte.
»Demnach arbeiten Magier für Euch?« Ihre Stimme verriet ihren Zweifel.
»Nicht alle Magier betrachten mich als Bedrohung für die Magie«, erklärte der Hauptmann selbstgefällig.
Weitere Kostenlose Bücher