Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
und der Wasserfall, der sich nach ausgiebigen Regenfällen bildete, ergoss sich in ein tiefes, schönes Becken, das seinerseits mit dem See in Verbindung stand.
Am Morgen des Treffens war die Oberfläche des Triverne-Sees ruhig, nur hin und wieder ließ eine leichte Brise kleines Wellengekräusel in alle Richtungen laufen. Das sanfte Glucksen des Wassers am Ufer hätte den Eindruck tiefer Ruhe an einem sonnigen, leicht bewölkten Tag vervollkommnen können.
Doch das große Zelt zerstörte diesen Eindruck. Stolz erhob es sich keine fünfzig Schritt vom See entfernt. Es war der Ausgangspunkt einer Spannung, die so durchdringend war, dass sie sich sogar an die Kleidung zu klammern und auf Haar und Haut zu drücken schien.
Das Zelt war der Inbegriff geometrischer Perfektion. Es war exakt quadratisch gebaut und hatte auf allen vier Seiten Eingänge, die jeweils genau im gleichen Abstand voneinander angebracht waren.
Baldachine, jeder in der Farbe eines Kollegs gehalten, spendeten Schatten über den Eingängen, und jeder Zugang wurde durch eine Abordnung von Kolleg-Wächtern beschützt. Eine zweite Phalanx bewachte jeden Eingang von innen.
An identischen quadratischen Tischen unmittelbar hinter den jeweiligen Eingängen saßen die Meister mit ihrem Gefolge. Für Lystern war Heryst, der Lordälteste, gekommen. Julatsa wurde von Barras vertreten, dem Hauptunterhändler und Gesandten des Kollegs in Xetesk. Für Dordover war Vuldaroq anwesend, der Herr des Turms, und Xetesk wurde von Styliann, dem Herrn vom Berge, repräsentiert. Jeder war von zwei Adjutanten flankiert.
Als Styliann sich auf seinen mit Hermelin bespannten Stuhl setzte, versuchte er, die Stimmung seiner Amtsbrüder einzuschätzen. Oder sollte er sie doch eher als Widersacher betrachten?
Barras, der Julatsaner. Ein alter Elf, den er gut kannte. Ungeduldig, reizbar, intelligent. Die klaren blauen Augen saßen in einem runzligen Gesicht, die weiße Haarmähne war zurückgebunden und als Pferdeschwanz über eine Schulter gelegt, die Finger der rechten Hand trommelten wie üblich nervös auf der nächsten verfügbaren Oberfläche herum, in diesem Fall auf der Armlehne seines Stuhls.
Heryst, der stille Mann aus Lystern. Er hatte sich bequem zurückgelehnt, sein Gesicht war dunkel von den Schatten, die seine Begleiter warfen. Die langen Finger waren zu einem Spitzdach zusammengelegt und stützten das Kinn, doch sonst wirkte er so entspannt und ruhig, wie es in dieser Gesellschaft nur möglich war. Styliann schätzte seine umsichtigen Ratschläge, und er musste die Tatsache anerkennen, dass der Mann mit fünfundvierzig Jahren der jüngste Lordälteste war, den Lystern jemals ernannt hatte. Styliann sah Parallelen zu seinem eigenen Leben, auch wenn sein Aufstieg nicht auf demokratischen Verfahren beruht hatte.
Er seufzte. Vuldaroq. Geschwätz und Getöse. Wenn er aufgebracht war, schoss er mit der Geschwindigkeit eines Elfenpfeils los und fand sein Ziel mit der Ungenauigkeit einer Katapultladung. Das Gesicht des Turmherrn aus Dordover war jetzt schon gerötet. Er hatte sich vorgebeugt, die Arme vor sich auf den Tisch gestützt, und sah sich mit zusammengekniffenen Augen um. Sein mächtiger Körper war auf einen Stuhl gequetscht, der gewiss bald verbreitert werden musste. Bei den Göttern, Styliann wusste genau, was dies bedeutete. Die von den Kollegien ernannten Tischler
mussten sich treffen und neue Stühle für sie alle herstellen. Zur Hölle mit den Dordovanern und ihren kleinlichen Vorstellungen von Gleichheit. Wann immer an irgendeinem Mantel ein Fädchen geändert werden musste, wurde die Debatte gleich um Tage zurückgeworfen.
Dieses Mal durfte es aber keine Verzögerungen und kein Gezeter geben, denn sonst mussten sie alle sterben. Styliann war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass wenigstens Xetesk überlebte.
Aller Augen ruhten auf ihm. Er vergewisserte sich, dass seine Ratgeber es bequem hatten, trank einen Schluck Wasser aus seinem Glas und stand auf.
»Im Namen des Einen, das wir einst waren, und im Namen der Vier, die wir geworden, begrüße ich Euch«, sagte Styliann. »Meine Herren, ich bin Euch sehr verbunden, dass Ihr so kurzfristig die Reise hierher unternehmen konntet.« Dies war die rituelle Begrüßung, die nichts weiter zu bedeuten hatte. Wenn ein Treffen am Triverne-See einberufen wurde, dann hatte es Vorrang vor allem anderen.
»Ihr alle habt sicherlich die zunehmenden Aktivitäten westlich der Blackthorne-Berge bemerkt.« Die
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