Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
Truhe, hob sie auf und ging ein paar Schritte rückwärts. »Irgendeine bestimmte Stelle?«
»In die Mitte, würde ich sagen.«
Hirad nickte und stellte sich mitten vor den Riss. Er hob die Truhe vor seine Brust. Ein paar Schritte, und dann warf er sie mitten durch das Loch. Sie verschwand, als sei sie von zähem Schlamm verschluckt worden.
Aller Augen ruhten auf dem Seil, das locker durch Densers Hände lief. Nach etwa zehn Sekunden lief das Seil etwas schneller, dann sackte es durch, fiel auf den Boden des Risses und wurde schlaff.
»Ich verstehe«, sagte Denser.
»Ich wünschte, ich könnte es auch verstehen«, murmelte Hirad.
»Es ist recht einfach. Der Riss selbst ist recht tief, vielleicht sechs Fuß, und die Reise durch den Riss verläuft langsam. Direkt hinter dem Riss fällt der Boden ein Stückchen ab, darauf müssen wir also gefasst sein.« Er hielt inne. »Also, wer ist nun bereit für die Reise ins Unbekannte?«
Schweigen. Es war ein ausgesprochen seltsames Schweigen. Eigentlich, so dachte Hirad, war ihnen ja schon eine ganz Weile klar, dass sie durch die dunkle, wirbelnde Masse gehen mussten, doch jetzt, da der Augenblick gekommen war, fragten sich alle, was sie wohl auf der anderen Seite finden mochten. Was es auch war, es war höchstwahrscheinlich anders als alles, was sie je gesehen hatten.
»Nun, wir brauchen hier wohl keine Wache zurückzulassen, oder?«, fragte Richmond.
»Nein, sicher nicht«, meinte Ilkar. »Was überlegst du, Hirad? Denkst du über den seltsamsten Ritt nach, den der Rabe je unternommen hat?«
Hirad kicherte. »Ja. Lasst uns aufbrechen.« Er klatschte in die Hände und zog sein Schwert. »Wir brauchen wohl die Laternen.«
»Ganz sicher«, sagte Ilkar. Er nahm diejenige an sich, die Denser auf dem Tisch gelassen hatte.
Sie stellten sich vor dem Riss auf, die Männer starrten in die sanft wallenden Schleier vor ihnen. Hirad sah sich von seiner Position in der Mitte einmal nach links und einmal nach rechts um. Er atmete tief durch, sein Herz schlug jetzt merklich schneller.
»Seid ihr alle bereit?«, fragte er. Die anderen nickten und murmelten zustimmend.
»Hirad, ich glaube, die Ehre des Rufs liegt jetzt bei dir«, sagte Talan.
»Danke, Talan.«
»Was ist das?«, fragte Denser.
»Hör einfach zu«, sagte Ilkar.
Hirad atmete noch einmal tief ein. »Der Rabe!«, brüllte er. »Der Rabe kommt!«
Dann sprangen sie in den Riss hinein.
11
Styliann wärmte sich die Füße am Kamin seines Arbeitszimmers und trank Tee aus dem Becher, der rechts auf dem Arbeitstisch stand. Es klopfte.
»Herein.«
Nyer und Dystran traten ein. Er bedeutete ihnen, sich auf die anderen Stühle zu setzen, und schenkte jedem einen Becher Tee ein.
Nyer ließ sich mit der Gelassenheit eines Mannes, der an hochrangige Gesellschaft gewöhnt ist, auf seinem Stuhl nieder. Dystran, ein Mann von gerade mal vierzig Jahren, war sichtlich nervös; er saß angespannt und hielt sich an seinem Becher fest.
»Ist Laryon schon unterwegs?«
»Leider nicht«, erklärte Nyer. »Er hatte ein Problem mit einigen Mitarbeitern.«
»Ich verstehe.« Styliann kniff die Augen zusammen. Normalerweise schlug man eine Einladung von ihm nicht aus. Er nahm sich vor, umgehend mit dem Meister zu reden. »Nun, Dystran, ich hoffe doch, die Forschung über die Dimensionsverbindungen macht gute Fortschritte?«
Dystran sah Nyer fragend an, und der Ältere bedeutete ihm mit einer Geste zu sprechen.
»Ja, mein Lord. Wir überprüfen es gerade in den Katakomben.« Unwillkürlich lächelte er.
»Ihr seid amüsiert?«
»Entschuldigt, mein Lord.« Dystrans Gesicht unter dem kurzen braunen Haar färbte sich rot. »Es ist nur so, dass wir nach dem ersten, sehr erfolgreichen Testlauf umgehend die Drainage verbessern mussten.«
Styliann zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Haltet Euch an den Bericht«, ermahnte Nyer ihn.
Dystran nickte. »Wir haben den Spruch zur Dimensionsverbindung dreimal erfolgreich getestet und unsere Dimension mit einer anderen verbunden. Nachdem wir die Berechnungen richtig durchgeführt hatten, konnten wir einen Wasserlauf zwischen beiden Dimensionen steuern, wobei aber leider eine Zauberkammer überflutet wurde.«
»Ausgezeichnet«, sagte Styliann. »Wie lange dauert es noch, bis wir einen Test unter realen Bedingungen durchführen können?«
»Das ist jederzeit möglich«, erklärte Dystran. »Die einzige offene Frage betrifft den Einsatz der Magier. Wir nehmen an, dass der Kanal umso größer
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