Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
sich in Kards kargem Quartier um. Eine einfache Pritsche stand unbenutzt an der rechten Wand. Karten, Pergamente und Federkiele waren neben dem zweiten, geschlossenen Fenster auf einem Tisch verstreut. Der
Stuhl davor diente als Ablage für zahlreiche Bücher und Tagebücher, die Kard abräumte, sobald sein alter Freund eingetreten war.
»Setzt Euch doch, Barras, Ihr müsst auch mal etwas ausruhen«, sagte er. Ein kleines Lächeln spielte um seine rissigen Lippen. Das frisch rasierte Kinn glänzte in der Wärme des Kaminfeuers vor Schweiß. Von einem Haken am Kamin nahm er einen Becher und schenkte Barras ein. Der alte Elfenmagier nahm den Becher mit beiden Händen und nickte dankbar.
»Seid Ihr sicher, dass es richtig ist?«, fragte Kard und nickte in Richtung des Dämonenschirms. »Dass wir wieder kämpfen, meine ich.«
»Welche andere Möglichkeit gibt es denn noch?«
»Nun ja, wir könnten die Leute hier unter Kontrolle halten und noch eine Weile hinter unseren Mauern ausharren, und zwar …« Er hielt inne und zog ein Blatt Papier vom Schreibtisch. Einige andere, die darauf lagen, glitten zur Seite, ein paar segelten zu Boden. »… einhundertsiebzehn Tage lang. Falls wir streng rationieren und vernünftig mit unserem Unrat umgehen.«
»Und was geschieht am Ende dieser Frist?«
Kard lächelte wieder und zuckte mit den Achseln. »Tja, die Welt wird sich bis dahin noch oft drehen. Vielleicht befreit man uns.«
»Und Senedai hat bis dahin keine Gefangenen mehr, die er abschlachten kann, und die Berge der verwesenden Leichen sind höher als unsere Mauern. Was wollt Ihr mir eigentlich damit sagen?« Barras runzelte die Stirn und trank einen kleinen Schluck. Es war ein Kräutertee, der ein wenig nach Pfefferminze schmeckte, ein höchst willkommener Genuss.
Kards Lächeln verschwand. Er legte einen Finger an die
Lippen und schüttelte den Kopf. »Oh, nichts weiter. Ich hatte nur gehofft, Ihr brächtet eine andere Lösung mit – eine, die verhindert, dass morgen und übermorgen und am Tag danach so viele unserer Leute im Gefecht getötet werden.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr je von Zweifeln geplagt seid, Kard.«
»Wie Ihr genau wisst, bin ich es auch nicht, aber – nun ja, ich weiß auch nicht, ich hatte mir so große Hoffnungen gemacht, als wir den Dämonenschirm eingerichtet haben.«
»Wünscht Ihr jetzt, wir hätten es gar nicht erst getan?«
»Nein, nein. Gestern erst … oder war es der Abend davor?« Kard blickte zum Hof hinunter. »Wie auch immer, neulich habe ich abends hier gelegen und mich gefragt, was wohl geschehen wäre, wenn Ihr den Schirm nicht eingesetzt hättet.«
»Und?« Barras zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Ihr wisst es so gut wie ich. Die Wesmen hätten im Handumdrehen unsere Mauern gestürmt. Wir hatten keine magischen Kräfte mehr, unser Heer war geschlagen, und alle Leute hatten Angst. Jetzt sind wir ausgeruht, unsere Moral ist gestärkt, aber Angst haben wir wohl immer noch. Auf jeden Fall werden sie sich bei uns eine blutige Nase holen.«
Barras schwieg dazu, trank seinen Tee und beobachtete, wie es in Kards Gesicht arbeitete. Lächeln, Stirnrunzeln und Trauer wechselten einander ab. Es tat ihm Leid, dass er die Tagträume des Generals gestört hatte. Der alte Soldat erinnerte sich an sein Leben, da er wusste, wie wenig Zeit ihm noch blieb. Die Zweifel, die er zum Ausdruck gebracht hatte, waren lediglich die Zweifel eines nachdenklichen Mannes, der stets nach einem besseren Ausweg sucht, solange er noch Zeit hat, und der letztlich doch zugeben
muss, dass es keinen gibt. Barras beschloss, den General bald wieder allein zu lassen, doch zuvor hatte er noch etwas zu besprechen.
»Was wollt Ihr eigentlich von mir?« Kard hatte offenbar im selben Moment den gleichen Gedanken gehabt.
»Wir haben uns im Sitzungssaal beraten. Wir wollen umgehend mit der Anrufung beginnen. Es könnte eine Weile dauern, bis Heila sich zeigt, und dann müssen wir noch mit ihm verhandeln, damit er den Dämonenschirm wieder entfernt. Es ist schwer zu sagen, ob der Schirm tatsächlich genau eine Stunde vor Anbruch der Dämmerung aufgehoben wird, aber viel später dürfte es nicht sein. Ihr müsstet die Magier, die den Turm angreifen sollen, bald Aufstellung nehmen lassen.«
»Ich werde auch gleich meine Soldaten wecken. Hättet Ihr mir das nicht früher sagen können?«
»Wir mussten erst noch einige Texte studieren, ehe wir sicher waren. Wir werden gleich beginnen.« Barras stand auf,
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