Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
einen wundervollen hellroten Schimmer über die Stadt und tauchte die leichte Bewölkung droben in zorniges Rot, als sie die letzten Strahlen zur Erde sandte. Rechts von ihm waren leise Hammerschläge zu hören, die der sanfte Wind herantrug. Unter ihm und
links von ihm wurde die Tür einer Gefangenenbaracke geöffnet, und eine Reihe gebeugter, niedergeschlagener Männer aus dem Osten schlurfte, von Axtkämpfern bewacht, zum abendlichen Hofgang heraus.
Wenn er dem leichten Wind lauschte, hörte er überall in der Stadt Stimmen, die redeten, Befehle gaben oder stritten. In drei Tagen würde der Palisadenzaun, der jetzt schon die Hauptstraße von Osten nach Westen abschirmte, ganz Understone einschließen. Dann konnte die Arbeit an den Verteidigungsanlagen des Passes beginnen, die bisher vernachlässigt worden waren.
Die kleine Stadt hatte sich nach der Besetzung durch die Wesmen wie Öl auf einer Wasserfläche ausgebreitet. Wenn Tessaya zur flachen Senke blickte, in der die ursprünglichen Gebäude von Understone lagen, dann sah er graue Zeltbahnen, die jeden Zoll des sanft nach Süden abfallenden Hanges und der Ebene dahinter bedeckten. Die Banner von einem Dutzend Stämmen und hundert weniger bedeutenden Adelsfamilien wehten über den Zelten, die im Halbkreis um die Feuerstellen gruppiert waren.
Er selbst hatte sich mit seinen Ratgebern – einschließlich Arnoan, den er genau im Auge behalten wollte – im Gasthof eingerichtet. Nur wenige Angehörige seines Stammes waren bei ihm in Understone. Seine Söhne kämpften mit Senedai im Norden. Seine Brüder waren längst durch die Hände von Xetesk-Magiern gestorben.
Er runzelte die Stirn und stand auf. Styliann. Entschlossen lief er zum Westrand der Stadt.
»Ich brauche einen Späher«, verlangte er vom wachhabenden Hauptmann.
»Mein Lord.« Der Hauptmann, ein Mann mit braunem Vollbart, rief einen Namen. Der Ruf hallte laut zwischen den benachbarten Gebäuden. Gleich darauf kam ein Mann
angerannt, der mit einigen anderen dort einen Graben ausgehoben hatte, wo vor dem eigentlichen Palisadenzaun Pfähle als zusätzliche Hindernisse aufgestellt werden sollten. »Kessarin, mein Lord.«
Tessaya nickte und wandte sich an den kräftigen Wesmen-Krieger, der hellbraune Lederhosen, ein Hemd und leichte Stiefel trug. In der Hand hatte er eine Axt mit nur einer Schneide. Er war jung und hatte klar geschnittene Gesichtszüge, stammte aber zweifellos nicht aus einem bedeutenden Adelsgeschlecht.
»Kannst du schnell laufen?«, fragte Tessaya.
»Ja, mein Lord.« Kessarin nickte heftig. Der Wunsch, Tessaya zu Diensten zu sein, gewann vor der Furcht die Oberhand.
»Dann laufe in den Pass. Nimm eine abgeschirmte Laterne mit, aber benutze sie vorsichtig. Du sollst die Dummköpfe finden, die ich heute Nachmittag hineingeschickt habe. Nimm mit niemandem Kontakt auf. Berichte unmittelbar mir, wenn du zurückkommst.«
»Ja, mein Lord.«
»Geh jetzt.« Tessaya blickte zur klaffenden schwarzen Öffnung des Tunnels, die in tiefem Schatten lag. Er wollte nur ungern gegen Styliann und seine gefährliche Truppe kämpfen, doch wenn sich bis zum Morgengrauen nichts weiter ergeben hatte, blieb ihm nichts anderes übrig. Kessarin musste rasch zurückkehren, und der Gedanke, dass ihm dies womöglich nicht gelang, ängstigte Tessaya mehr, als ihm lieb war.
Bewacht von seiner Leibgarde entspannte Styliann sich und bildete die Mana-Form für eine Kommunion, die er entweder ungeheuer genießen oder ewig verfluchen würde. Die Mana-Form, schmal und gewunden wie ein geflochtenes,
dunkelblaues Seil, wand sich in Spiralen durch den Fels der Blackthorne-Berge und suchte einen bestimmten Geist in Xetesk. Den Geist eines Mannes, der zwar plötzlich sehr mächtig geworden war, der aber unfähig war, sich dem Druck von Stylianns Spruch zu widersetzen.
Die Kommunion überbrückte augenblicklich die Distanz nach Xetesk. Ein kleines Lächeln spielte um Stylianns Lippen, als der Spruch über die ruhenden Geister von hunderten Magiern im Kolleg glitt. Sie erschienen ihm wie kleine Wellen auf einem sonst stillen Teich. Eine Landkarte von Geistern, die der Kundige und Wissende lesen konnte.
Styliann suchte die schweifenden Gedanken eines schlafenden Mannes, der gleich aktiv werden und die Wasseroberfläche aufwühlen sollte wie fallende Regentropfen. Er war nicht schwer zu finden. Ein Mann, der mit bemerkenswerter Geschwindigkeit in eine mächtige Position aufgestiegen war. Er hatte nach einem
Weitere Kostenlose Bücher