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Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit

Titel: Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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emporragten, und ein stolzes Gesicht mit markanten Zügen. Sie stand ein paar Schritte entfernt. In der Dunkelheit funkelten ihre Augen, als fingen sie die Reflexionen der Sterne im Wasser ein.
    »Wie lange noch, bis wir da sind?«, fragte Erienne.
    Ren’erei zuckte mit den Achseln. »Wenn der Wind gut bleibt, müssten wir den Ornouth-Archipel noch vor Sonnenuntergang sehen. Dann sind es höchstens noch ein paar Tage bis zur Küste.«
    »Wohin fahren wir denn eigentlich? Vorausgesetzt, du kannst es mir jetzt verraten.« Erienne hatte während der Kutschfahrt immer wieder nachgefragt, doch sie hatte bisher nichts Konkretes herausgefunden.
    Ren’erei lächelte. »Ja, jetzt kann ich es dir sagen. Wir fahren zu einer Insel tief im Innern der Inselgruppe, die wir Herendeneth nennen. In eurer Sprache bedeutet dies ›endloses Heim‹. Ich weiß nicht, ob es noch einen umgangssprachlichen Namen für die Insel gibt. Der Archipel besteht aus mehr als zweitausend Inseln, von denen manche nicht einmal auf Karten verzeichnet sind. Die ganze
Gegend zu kartieren, würde länger als eine Lebensspanne dauern, und das gereicht uns zum Vorteil. Herendeneth bietet vom Meer aus leider keinen besonders schönen Anblick. Man sieht nur Klippen und schwarzen Stein, während viele andere Inseln Sandstrände, Lagunen und Bäume haben. Aber sie erfüllt ihren Zweck.«
    »Klingt doch nett«, meinte Erienne trocken.
    »Versteh mich nicht falsch, die Insel ist im Innern schön. Aber wenn du dorthin willst, musst du den Weg genau kennen. Die Riffe sind gefährlich.«
    »Oh, ich verstehe.«
    »Nein, Du verstehst es noch nicht, aber du wirst es schon sehen.« Ren’erei kicherte. »Niemand, der den Kanal nicht kennt, kann uns erreichen.«
    »Aber sie könnten doch fliegen.«
    »Aus der Luft gesehen ist die Insel kahl, aber der Eindruck täuscht.«
    »Ich sehe schon, ihr habt euch alles genau überlegt«, sagte Erienne. Ihre Skepsis blieb.
    »Seit dreihundert oder mehr Jahren funktioniert es«, gab Ren’erei zurück. Sie hielt inne, und Erienne spürte, wie die Elfenfrau ihr Gesicht betrachtete. »Du vermisst ihn, nicht wahr?«
    Erienne erschrak, doch Ren’erei hatte Recht. Unbewusst hatte sie gehofft, dass Denser ihnen irgendwie folgen mochte, aber jetzt … bei den fallenden Göttern, er war kein Seemann, und da die Identität der Insel anscheinend auch aus der Luft nicht auszumachen war … eigentlich gab es keinen Grund, enttäuscht zu sein.
    Ja, sie fühlte sich einsam, weil sie alles zurückgelassen hatte, was sie kannte. Sie vermisste ihn, obwohl sie sich freute, dass Lyanna bei ihr war. Sie vermisste seine Berührungen, den Klang seiner Stimme, seinen Atem auf
ihrem Hals, die Kraft, mit der er alle Dinge anging, und die Unterstützung, die er ihr trotz ihrer langen Trennungszeiten ohne Zögern jederzeit gegeben hatte. Sie war sicher, dass ihre Entscheidung richtig war, doch die Unwägbarkeiten verunsicherten sie, und sie musste damit rechnen, dass auf ihre Tochter noch völlig ungeahnte Gefahren zukamen. Denser würde sie unterstützen. Sie würden sich gegenseitig unterstützen, aber er war nicht da, und sie musste sich zusammennehmen, um nicht den Mut zu verlieren.
    Ren’erei war ihr eine Hilfe, eine freundliche Seele. Voller Achtung und Verständnis. Erienne nahm sich vor, sie so lange wie möglich in der Nähe zu behalten. Die Götter allein wussten, womit sie auf Herendeneth konfrontiert wurde.
    »Wir würden ihn willkommen heißen, aber es gibt andere, die weniger ehrbare Motive haben, uns zu finden, und einige haben es auch schon versucht«, fuhr sie fort und nahm Erienne das Problem ab, sich eine Antwort überlegen zu müssen. »Sie hetzen uns Tag und Nacht. Seit mehr als zehn Jahren geht das jetzt so. Sie und ihre Feinde würden nur zu gern sehen, dass wir untergehen.«
    Erienne runzelte die Stirn. Da stimmte doch etwas nicht. Die Dordovaner waren gewiss die Einzigen, die sie jetzt noch verfolgten.
    »Wer denn?«
    »Die Hexenjäger«, sagte Ren’erei. »Die Schwarzen Schwingen.«
    Eriennes Knie wurden weich, sie sackte in sich zusammen und musste sich an der Reling festhalten. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit war Ren’erei bei ihr und fing sie auf. Erienne brachte nicht einmal ein Wort heraus, um sich zu bedanken. Ihr Herz hämmerte, schlug ihr bis zum
Hals, das Blut rauschte in ihren Ohren, und ihr Kopf war auf einmal voller Erinnerungen, die sie vor vielen Jahren sorgfältig begraben hatte.
    Sie sah alles wieder vor sich.

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