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Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit

Titel: Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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ringsherum schossen dunkelbraune Mana-Speere davon und erzeugten Wirbel und Strömungen, die an Größe und Kraft gewannen, während sie sich entfernten. Es waren flackernde Leuchtfeuer für jeden, der sie suchte und ihr etwas antun wollte.
    Lyanna hatte keine Ahnung, was sie tat, aber die Nachwirkungen waren in ganz Balaia zu spüren, wo sie geboren
war und wo ihre Mana-Stärke verwurzelt war. Cleress vermochte sich kaum auszumalen, welche Probleme das Flackern verursachte, aber sie wusste, dass der Zerfall eines gebündelten, jedoch ungerichteten Mana-Impulses von dieser Größenordnung normalerweise erschreckende Naturgewalten nach sich zog.
    In einem Punkt hatte Tinjata trotz seiner senilen Geschwätzigkeit vor vielen tausend Jahren zweifellos Recht gehabt. Ein erwecktes Kind des Einen konnte in weniger als einem halben Jahr ganz Balaia verwüsten. Es lag bei den noch lebenden Al-Drechar, diese Katastrophe abzuwenden, indem sie das Kind an den schlimmsten Exzessen hinderten, bis es alt genug war, die Kräfte, die es in sich trug, zu verstehen und zu meistern. Wenn dies dem Mädchen nicht gelang, dann blieb den Al-Drechar nur noch eine letzte Möglichkeit, die viel zu schrecklich war, als dass sie auch nur darüber nachdenken durften.
    Nicht zum ersten Mal verfluchte Cleress die Dordovaner, die etwas aufgerührt hatten, in das sie sich niemals hätten einmischen dürfen.
    »Was soll ich tun, Ephy?«
    »Geh zu ihr und rede mit ihr. Höre dir an, wie sie es beschreibt. Ich decke das Flackern ab und überwache die Mana-Gestalt.«
    Cleress nickte und betrat den Obstgarten. Obwohl die Nachmittagssonne ihr warmes, gelbes Licht verströmte, hatte die Umgebung etwas Gespenstisches an sich. Die Vögel sangen nicht mehr, und das Knacken der Zweige und Äste, die unter Lyannas Kontrolle standen, klang befremdend in der windstillen Luft.
    Aus der Nähe konnte Cleress sehen, dass Lyannas Augen zwischen den Blättern hin und her sprangen. Ihre Lippen bewegten sich, ihr Lächeln wurde schmaler und
breiter, als freute sie sich über die Antworten, die sie auf ihre Fragen bekam. Ihre ausgestreckten Arme zitterten vor Anstrengung, und sie runzelte die Stirn, weil sie Mühe hatte, die Mana-Gestalt aufrechtzuerhalten. Sie wurde müde.
    Cleress kniete sich neben sie und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn.
    »Lyanna, kannst du mich hören?« Trotz des Lemiir war ihre Stimme weich.
    »Meine Freunde sind hier, Clerry, schau nur.« Lyanna hörte nicht auf, nur ihre Stimme klang vor Anstrengung etwas abwesend.
    Cleress sah sich um und musste lächeln, als sie erkannte, warum Lyanna so gefesselt war. Die Äste neigten sich im Bogen zu ihr und berührten beinahe ihr Gesicht, streichelten ihre Arme und verflochten sich ineinander wie die Tentakel eines freundlichen Meeresbewohners. Die Zweige hatten keine steife Rinde mehr, sondern waren geschmeidig wie Gliedmaßen.
    Dazwischen tanzten und raschelten die Blätter, bogen und wanden sich und erzeugten mit ihren kleinen Bewegungen beinahe musikalische Klänge. Es war ein wundervoller Anblick. Cleress beobachtete Lyanna und fragte sich, was das kleine Mädchen sich wohl dazu vorstellen mochte.
    »Sind es gute Freunde?«, fragte Cleress. »Sie sind hübsch.«
    »Ja, sie sind gute Freunde, aber sie können nicht mit dir reden, weil du sie nicht verstehen kannst.«
    »Oh, ja. Was sagen sie dir denn?«
    »Dass böse Leute kommen, aber auch gute Leute, die uns helfen wollen. Und du bist ganz müde, und das liegt an mir, aber das ist schon in Ordnung.«

    Cleress war sprachlos. Sie schaute zu Ephemere, doch ihre Schwester befand sich in tiefer Konzentration; sie hatte die Augen geschlossen und die Hände in Hüfthöhe vorgestreckt.
    »Woher wissen sie das denn? Sie müssen sehr klug sein.«
    Lyanna nickte, und die Blätter raschelten, als wollten sie applaudieren.
    »Sie wissen es, weil es sich so anfühlt, ist doch klar.«
    Die alte Al-Drechar hätte beinahe erschrocken gekeucht. Lyanna fühlte die Kommunikation in den Nuancen des Mana-Stroms. Einen Teil hatte sie wahrscheinlich auch aus den Gesprächen mit Erienne entnommen, aber der Rest wurde irgendwie aus den wilden Kräften, die in ihrem Kopf tobten, ausgefiltert. Es konnte nicht anders sein. Allerdings musste dieser Vorgang ungeheuer anstrengend und gefährlich sein. Sie konnte nur hoffen, dass Ephemere das Flackern kontrollierte.
    »Haben deine Freunde dir sonst noch etwas gesagt?« Cleress fürchtete beinahe die Antwort.
    Wieder nickte

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