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Der Canyon

Der Canyon

Titel: Der Canyon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas - Preston
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sah er ein Netz von Rissen im Steinboden des Stollens, wo der Fels ein wenig nachgegeben hatte und eingesackt war. Er kniete sich hin und hielt die Hand vor einen der Risse. Kühle Luft strömte heraus. Er legte das Ohr an den kleinen Spalt.
    Plötzlich krachte ein Schuss aus einer großkalibrigen Waffe, gefolgt von einem Schrei – und der Schrei war so nah, dass er erschrocken aufsprang.

22
    Willer und Hernandez rasten auf dem Highway 84 gen Norden; hinter ihnen blieben die Lichter von Espanola zurück, vor ihnen erhob sich die Schwärze der Wildnis. Es war fast Mitternacht, und Willer war außer sich, weil ein Schwachkopf wie Biler es geschafft hatte, so viele Stunden ihrer kostbaren Zeit zu vergeuden.
    Willer zog eine Zigarette aus der Hemdtasche und steckte sie sich zwischen die Lippen. Im Streifenwagen war Rauchen eigentlich verboten, aber das kümmerte ihn jetzt weiß Gott nicht.
    »Broadbent könnte inzwischen über den Cumbres Pass sein«, sagte Hernandez.
    Willer sog den Rauch ein. »Unmöglich. Sie haben alle Fahrzeuge notiert, die den Pass überquert haben, und Bilers Wagen war nicht darunter. Die Straßensperre südlich von Espanola hat er auch nicht passiert.«
    »Er könnte den Wagen irgendwo in Espanola abgestellt und sich in einem Motel verkrochen haben.«
    »Könnte er, hat er aber nicht.« Willer gab noch mehr Gas. Die Tachonadel kroch von hundertsechzig zu hundertachtzig, der Wagen schaukelte ein wenig, und die Dunkelheit raste an ihnen vorbei.
    »Was glauben Sie, was er getan hat?«
    »Ich glaube, er ist zu diesem so genannten Kloster gefahren, Christ in the Desert, um sich mit dem Mönch zu treffen. Deshalb fahren wir da jetzt hin.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Willer zog an seiner Zigarette. Normalerweise schätzte er Hernandez' beharrliche Fragen – sie halfen ihm, die Dinge gründlich durchzudenken –, aber jetzt ging sein Deputy ihm auf die Nerven. »Ich weiß nicht, warum, es ist eben so«, herrschte er ihn an. »Broadbent und seine Frau sind in die Sache verwickelt, der Mönch weiß davon, und da draußen ist noch jemand unterwegs – der Mörder nämlich –, der ebenfalls bis zum Hals mit drinsteckt. Sie haben irgendwas in diesen Canyons gefunden und kämpfen jetzt darum, auf Leben und Tod. Was auch immer es ist, es ist verdammt wichtig – so wichtig, dass Broadbent deswegen die Polizei belogen und ein Auto gestohlen hat. Ich meine, verdammt, Hernandez, man muss sich doch fragen, was einem Kerl wie dem so wichtig wäre, dass er zehn Jahre Staatsgefängnis dafür riskiert. Er ist doch schon stinkreich.«
    »Ja.«
    »Selbst wenn Broadbent nicht im Kloster ist, will ich mich mal ein bisschen mit diesem so genannten Mönch unterhalten.«

23
    Mit lähmender Ungläubigkeit erkannte Tom, dass es Sally war, die schrie. Er drückte den Mund an den Spalt. »Sally!«
    Ein Keuchen. »Tom?«
    »Sally! Was ist los? Bist du verletzt?«
    »O Gott, Tom! Du bist …« Sie konnte kaum sprechen. »Ich stecke fest. Er schießt auf mich.« Ein schluchzendes Keuchen.
    »Sally, ich bin ja da, ist schon gut.« Tom leuchtete mit der schwachen Taschenlampe nach unten und sah zu seinem Entsetzen Sallys Gesicht keinen halben Meter unter ihm in dem Spalt stecken.
    Ein weiterer Schuss dröhnte durch die Mine, und Tom hörte den scharfen Aufprall und das Klappern einer Kugel zwischen den Felsen unter sich.
    »Er schießt in die Spalte, aber er kann mich nicht sehen. Tom, ich hänge fest!«
    »Ich hol dich da raus.« Er leuchtete die Umgebung ab. Der Fels war bereits vielfach gesplittert, er brauchte die Stücke nur herauszubrechen. Er schwenkte den Lichtstrahl im Stollen hin und her und suchte nach einem Werkzeug. In einer Ecke lag ein Haufen vergammelter Kisten und Seile.
    »Ich komme gleich wieder.«
    Ein weiterer Schuss.
    Tom rannte zu dem Haufen hinüber, schleuderte eine Rolle verschimmeltes Tau beiseite und durchwühlte einen Stapel vergammeltes Sackleinen. Darunter lag ein gebrochener Meißel. Er schnappte sich das Stück Eisen und rannte zurück.
    »Tom!«
    »Ich bin hier. Ich hole dich raus.«
    Ein weiterer Schuss. Sally kreischte. »Er hat mich getroffen! Er hat mich erwischt!«
    »O Gott, wo –?«
    »Am Bein. O Gott, hol mich hier raus.«
    »Mach die Augen zu.«
    Tom rammte den Eisenkeil in den Spalt, griff sich einen losen Stein und hämmerte damit auf den Schlägel ein, immer wieder. Das geborstene Gestein begann sich zu lösen. Er ließ sich auf die Knie fallen und scharrte und zog die Bruchstücke

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