Der Canyon
Kohlenstoffhülle der Venus-Partikel anzugreifen. Sie wollte die Partikel von allem befreien, sie sozusagen im Rampenlicht bewundern können.
Sie trug die Flasche zum Abzug und stellte sie in den Bereich mit der Markierung HF. Dann legte sie eine Schutzbrille an, Nitril-Handschuhe, eine Gummischürze und Ärmelschützer. Sie senkte die Abzugshaube auf fünfzehn Zentimeter herab, um ihr Gesicht zu schützen, schaltete den Abzug ein und begann mit der Arbeit. Sie goss eine geringe Menge Flusssäure in das Plastikbecherchen mit dem gemörserten Fossil, wobei ihr nur allzu bewusst war, dass schon ein winziger Spritzer auf ihrer Haut fatal sein konnte. Sie beobachtete, wie der Inhalt aufschäumte und trüb wurde und passte genau die richtige Sekunde ab. Dann verdünnte sie rasch auf ein Fünfzigstel, um die Reaktion zu unterbrechen, schüttete den Überschuss weg und verdünnte das Ganze ein zweites und drittes Mal, um die Säure zu neutralisieren.
Sie hielt das Ergebnis ins Licht: eine dünne, mineralische Ablagerung am Boden eines Reagenzröhrchens, in der zumindest einige Partikel enthalten sein mussten.
Mit einer Mikropipette saugte sie den Großteil des Sediments ab, trocknete es und trennte dann mit Hilfe eines Separationstrichters und einer Natriumpolywolframatlösung die leichteren Anteile von den schwereren. Ein weiterer Trennvorgang, dann nahm sie mit einer Mikropipette eine geringe Menge der Partikel auf und ließ sie über eine geriffelte Schräge gleiten, wobei die Partikel sich in den Vertiefungen verfingen. Eine rasche Zählung bei 100-facher Vergrößerung ergab etwa dreißig Venus-Partikel, größtenteils intakt und nun frei von allen möglichen Verunreinigungen.
Sie fokussierte auf ein besonders gut erhaltenes Partikel und schaltete die Vergrößerung auf 750-fach. Das Partikel sprang klar und deutlich hervor und füllte das gesamte Objektiv aus. Melodie untersuchte es mit zunehmender Verwunderung. Nun sah es dem Venussymbol noch ähnlicher, eine Kugel aus Kohlenstoff, aus der ein langer Arm hervorragte, mit einem Quersteg am Ende, aus dessen Spitzen so etwas wie Härchen wucherten. Sie öffnete ihr Notizbuch und skizzierte das Partikel.
Als sie fertig war, lehnte sie sich zurück und betrachtete ihre Zeichnung. Sie war vollkommen überrascht. Das Partikel ähnelte keinerlei Einschluss, der durch natürliche Kristallisation im Gestein entstanden sein könnte. Es erinnerte sie überhaupt an nichts, was sie je zuvor gesehen hatte – bis auf die Radiolarien vielleicht, die sie im Rahmen eines Highschool-Projekts tagelang untersucht und gezeichnet hatte. Es war definitiv biologischen Ursprungs – zumindest dessen war sie sich ganz sicher.
Melodie sammelte ein halbes Dutzend Venus-Partikel aus den Vertiefungen und transferierte sie auf einen Objektträger, den sie dann in eine Vakuum-Präparationskammer legte, um ihn für das Rasterelektronenmikroskop vorzubereiten. Sie drückte auf den Knopf, und die Maschine summte leise, als die Luft aus der Kammer gepumpt wurde.
Dann wollen wir uns dieses Miststück mal von allen Seiten ansehen, dachte sie.
6
F.P. Masago stand im weiß getünchten Computerraum des Klosters, der nun als Bodenstation für die Predator diente. Sein Blick war auf einen Flachbildschirm geheftet, der die Videodaten von der Bordkamera der Predator zeigte. Der grobe Holztisch war mit einer Auswahl modernster Elektronik bedeckt, die von drei Mann bedient wurde. Der erste Mann dabei war ein Combat Controller von der 615th Special Tactics Group »Wing Command« mit dem Simulatorhelm der Drohne auf dem Kopf. Er arbeitete an einer Konsole, auf der sich die Instrumente und Bedienungselemente eines gewöhnlichen Flugzeugs befanden: Steuerhorn, Gashebel, Fluggeschwindigkeitsanzeige, Kursanzeige, Höhenmesser, dazu einen Joystick wie in einer F-16.
Masagos Blick huschte einen Moment weg vom Bildschirm und hin zu den beiden Männern von der DEVGRU, die ihn unterstützten. Sie arbeiteten konzentriert und achteten auf nichts außerhalb der elektronischen Welt, in die sie eingetaucht waren. Einer bediente die Nutzlast-Konsole, eine Reihe von Bildschirmen, Schaltern, Tastaturen und digitalen Anzeigen, die sämtliche Überwachungs- und Aufklärungsmöglichkeiten der Predator steuerten. Zu diesem 450-Pfund-Paket gehörten elektrooptische und Infrarot-Kameras, SAR-Sensor für Flüge bei schlechtem Wetter, zweifarbiges DLTV mit variablem Zoom und 955-mm-Spotter und ein FLIR mit sechs Sichtfeldern von
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