Der Canyon
Hernandez, und sein rundes Gesicht wirkte bestürzt. »Sollten wir nicht lieber auf die Spurensicherung und die Gerichtsmedizin warten?«
»Wir wissen doch noch gar nicht, ob wir eine Leiche haben. Könnte auch ein Stück totes Wild sein. Wir können kein komplettes Spurensicherungsteam per Helikopter hier herauskommen lassen, solange wir nicht sicher sind.«
»Ich verstehe.«
Willer setzte seinen Rucksack ab, holte zwei kleine Spaten heraus und warf Hernandez einen davon zu. »Ich glaube nicht, dass es sehr tief ist. Unser Mörder hatte ja nicht viel Zeit.«
Er kniete sich hin und schabte mit dem Spaten den losen Sand beiseite, eine Schicht nach der anderen. Hernandez tat das Gleiche auf der anderen Seite der Fundstelle, so dass sie zwei ordentliche Haufen bildeten, welche die Spurensicherung später durchsieben konnte. Willer achtete genau auf eventuelle Beweise – Kleidungsstücke oder kleine persönliche Gegenstände –, doch es kam nichts dergleichen zutage. Das Loch wurde tiefer, der zuvor trockene Sand war nun feucht. Da unten war etwas, todsicher, dachte Willer, als der Geruch immer stärker wurde.
In einem knappen Meter Tiefe schabte der Spaten über etwas Haariges, Weiches. Eine Woge von Gestank, dick wie Erbsensuppe, schlug ihm ins Gesicht. Er kratzte vorsichtig weiter und atmete nur noch durch den Mund. Das Ding war fünf Tage lang bei dieser Hitze in feuchtem Sand vergraben gewesen, und so roch es auch.
»Das ist kein Mensch«, sagte Hernandez.
»Das sehe ich auch.«
»Vielleicht ein Hirsch.«
Willer schabte weiter darum herum. Das Fell war zu rau, zu lang und verfilzt für einen Hirsch, und als er versuchte, mehr Sand abzukratzen, um es besser erkennen zu können, lösten sich stellenweise Haut und Fell, und darunter kam schleimiges, bräunlich rosa Fleisch zum Vorschein. Das war kein Hirsch: Es war ein Esel. Der Esel des Schatzsuchers, den Broadbent erwähnt hatte.
Er richtete sich auf. »Wenn es eine Leiche gibt, dann müsste sie daneben liegen. Sie nehmen die Seite, ich grabe da.«
Wieder begannen sie Sand abzuschaben und sorgfältig neben sich aufzuhäufen. Willer zündete sich eine Zigarette an und steckte sie sich zwischen die Lippen in der Hoffnung, den Gestank ein wenig zu vertreiben.
»Hab was.«
Willer stand auf und ging zu der Stelle, wo Hernandez im Sand kniete. Er schabte noch ein wenig Sand beiseite und legte etwas frei, das so lang und dick aussah wie eine große Brühwurst. Willer brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass es sich um einen Unterarm handelte. Eine zweite Woge widerlichen Gestanks traf ihn wie ein körperlicher Schlag, ein anderer, viel schlimmerer Geruch als vorhin. Er zog kräftig an seiner Zigarette, aber es half nichts: In seinem Mund schmeckte es nach Leiche. Er stand auf, würgte und trat zurück. »Okay. Das reicht. Wir haben eine Leiche – mehr brauchen wir nicht zu wissen.«
Hernandez trat hastig den Rückzug an, begierig darauf, von dem provisorischen Grab wegzukommen. Willer ging ein paar Schritte gegen den Wind von der Stelle fort und rauchte wie besessen, inhalierte bei jedem Atemzug so viel Rauch, als könnte er damit seine Lunge vom Gestank des Todes reinigen. Er sah sich um. Die Hunde zerrten an ihren Leinen und jaulten ungeduldig. Was wollten sie? Eine gute Mahlzeit?
»Wo ist Wheatley?«, fragte Hernandez und blickte sich um.
»Woher soll ich das wissen?« Willer sah Wheatleys frische Fußabdrücke, die weiter in den Canyon hineinführten. »Stellen Sie mal fest, was er da macht, ja?«
Hernandez lief die Schlucht entlang und verschwand bald um die Biegung. Gleich darauf kehrte er mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht zurück. »Er kotzt.«
6
Am Freitagmorgen ging die Sonne an einem makellos blauen Himmel auf. Die Häher krächzten und zankten sich in den Kiefern, und die Pappeln warfen lange, kühle Schatten über die Wiese. Tom hatte die Pferde am frühen Morgen gefüttert, ihnen eine Stunde Zeit zum Fressen gelassen und führte nun sein Lieblingspferd Knock zur Umzäunung, um ihn zu satteln. Sally gesellte sich mit ihrem falbfarbenen Wallach Sierra zu ihnen, und sie arbeiteten schweigend nebeneinander, striegelten die Pferde, kratzten die Hufe aus, legten Sattel und Zaumzeug an.
Als sie sich auf den Weg machten, hing nur noch in den Schatten der Pappeln am Bach eine Erinnerung an die morgendliche Kühle. Zu ihrer Linken ragte der Pedernal Peak auf, dessen steile Flanken in einem wie abgeschnitten wirkenden Gipfel endeten,
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