Der Canyon
Zurückgebliebene, oder was immer das sein sollte, allmählich dem Ende zuzuneigen. Die Kinder stiegen eines nach dem anderen ab, und bald halfen sie dabei, die Pferde abzusatteln und zu striegeln, um sie dann nach hinten auf eine der Weiden zu bringen. Maddox wartete, jeder Muskel verspannt, weil er so aufgedreht war, und wünschte, er wäre erst um fünf statt um drei gekommen. Endlich verabschiedeten sich die Kinder lautstark, und die Pick-ups und Kombis der lieben Mamis rollten unter Gewinke und Geschrei vom Parkplatz hinter dem Haus.
Er sah auf die Uhr. Vier. Offenbar war niemand zum Helfen geblieben – Sally war allein. Heute würde sie nicht ausgehen, wie letztes Mal. Es war ein langer Tag gewesen, und sie war müde. Sie würde ins Haus gehen und sich ausruhen, vielleicht ein heißes Bad nehmen.
Mit diesem interessanten Gedanken im Kopf sah er dem letzten Jeep nach, der in einer Staubwolke die Einfahrt entlangfuhr. Die Wolke trieb davon, löste sich in der goldenen Nachmittagssonne auf, und alles wurde still. Er beobachtete, wie sie mit den Armen voll Trensen und Halftern über den Hof ging. Sie sah umwerfend aus in Cowboy-Reitstiefeln, Jeans und einer weißen Bluse; das lange blonde Haar flatterte in der Brise. Sie ging in den Stall, und er hörte sie darin rumoren, Sachen aufräumen und mit den Pferden sprechen. Einmal war sie nur wenige Schritte von ihm entfernt auf der anderen Seite der dünnen Holzwand. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt; er musste sie drinnen im Haus zu fassen kriegen, wo die dickeren Wände jedes Geräusch dämpfen würden, das sie vielleicht von sich gab. Obwohl die nächsten Nachbarn einen halben Kilometer entfernt wohnten, wusste man nie, wie weit der Schall trug, und außerdem könnte irgendjemand zu Fuß oder zu Pferde in Hörweite unterwegs sein.
Er hörte geschäftiges Rumoren aus dem Stall, das Schnauben und Stampfen von Pferden, das Scharren einer Schaufel, ihr leises Gemurmel. Zehn Minuten später kam sie heraus und betrat das Haus durch die Hintertür. Er konnte sie durchs Küchenfenster sehen – sie füllte einen Kessel am Wasserhahn, stellte ihn auf den Herd, holte sich einen Becher und etwas, das aussah wie eine Schachtel Teebeutel. Sie setzte sich an den Küchentisch, wartete darauf, dass das Wasser kochte, und blätterte in einer Zeitschrift. Tee und dann ein Bad? Er konnte nicht sicher sein, und es war besser, nicht länger zu warten. Sie war ohnehin da, wo er sie haben wollte, nämlich in der Küche. Den Tee zu bereiten und zu trinken würde mindestens fünf Minuten dauern, und mehr brauchte er nicht.
Er arbeitete leise, schlüpfte in die Chirurgen-Überschuhe, den Plastikregenmantel, legte das Haarnetz, die Duschhaube und den Nylonstrumpf an. Er überprüfte die Glock 29, ließ das Magazin herausschnappen und schob es wieder hinein.
Als letzten Schritt breitete er seinen Grundriss des Hauses aus und prägte sich noch einmal alles ein. Er wusste genau, wie er es angehen würde.
Maddox ging um den Stall herum zur anderen Seite, wo sie ihn von der Küche aus nicht sehen konnte. Dann richtete er sich auf, ging locker über den Hof, durch das Tor zur Terrasse und drückte sich dann rasch an die Hauswand, links von der Terrassentür. Er spähte ins Wohnzimmer und sah, dass es leer war – sie war also immer noch in der Küche. Rasch steckte er ein Shim zwischen Tür und Rahmen, schob es ganz durch und zog kräftig abwärts. Das Türschloss öffnete sich mit einem lauten Klicken; er schob die Tür auf, huschte hinein, schloss sie wieder und drückte sich an eine schräge Wand, an der Stelle, wo der Flur zur Küche abging.
Er hörte ihren Stuhl in der Küche über den Boden kratzen. »Wer ist da?«
Er rührte sich nicht. Nach ein paar leisen, zögernden Schritten im Flur zum Wohnzimmer: »Ist da jemand?«
Maddox wartete und behielt seine Atmung unter Kontrolle. Sie würde hereinkommen und nachsehen, was das für ein Geräusch gewesen war. Er hörte weitere zögerliche Schritte im Flur, dann Stille, als sie in der Tür zum Wohnzimmer stehen blieb. Sie war direkt an der Ecke, so nah, dass er sie atmen hören konnte.
»Hallo? Ist da jemand?«
Sie könnte sich jederzeit umdrehen und zurück in die Küche gehen. Oder zum Telefon. Aber sie war nicht sicher … Sie hatte ein Geräusch gehört, sie stand in der Tür, das Wohnzimmer schien leer zu sein … das hätte alles Mögliche sein können – ein herabfallender Zweig, der ein Fenster streifte, oder ein
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