Der Canyon
Fossilien zierten ein Regal an der Wand, und mitten auf dem Couchtisch lag ein großer Ammonit neben einem Stapel Fossilienmagazine und Werbebroschüren für eine Mineralienmesse in Tucson.
Eine der Sekretärinnen blickte auf, bemerkte Toms Zweitausend-Dollar-Anzug von Valentino und die Maßschuhe und zog auffällig die Brauen in die Höhe. »Was kann ich für Sie tun, Sir?«
»Ich habe einen Termin mit Robert Beezon.«
»Ihr Name?«
»Broadbent.«
»Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Broadbent. Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen? Kaffee? Tee? Mineralwasser?«
»Nein, danke.«
Tom setzte sich, griff nach einer Zeitschrift und blätterte sie durch. Der Gedanke an die geplante Täuschung machte ihn nervös. Der Anzug hatte in seinem Schrank gehangen, zusammen mit einem Dutzend weiterer Anzüge, die er nie trug und die sein Vater in Florenz und London für ihn gekauft hatte.
Einen Moment später klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch der Sekretärin. »Mr. Beezon bittet Sie herein.« Sie wies mit einem Nicken auf eine Tür mit Milchglasscheibe, auf der schlicht BEEZON stand.
Tom erhob sich, als die Tür aufging und ein kräftiger Mann im Türrahmen erschien. Er trug das spärliche Haar quer über den kahlen Oberkopf gekämmt, war hemdsärmelig, aber mit Krawatte. Er sah genau so aus, wie man sich einen überarbeiteten Kleinstadtanwalt vorstellte.
»Mr. Broadbent?« Er streckte die Hand aus.
Das Büro selbst verriet schließlich, dass dieser Mann weder Buchhalter noch Jurist war. An den Wänden hingen Poster von Fossilien, und eine gläserne Vitrine enthielt eine kleine Sammlung fossilisierter Krabben, Quallen und Spinnen – und in der Mitte prangte eine seltsam geformte Steinplatte mit einem fossilisierten Fisch, der einen Fisch im Magen hatte, in dessen Magen wiederum ein noch kleinerer Fisch zu erkennen war.
Tom setzte sich auf einen Stuhl, und Beezon nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.
»Gefällt Ihnen mein kleines Schmuckstück? Fressen und gefressen werden, so ist das nun mal.«
Tom lachte höflich – das war offenbar Beezons Standardbemerkung zur Eröffnung des Gesprächs. »Hübsch.«
»Also, Mr. Broadbent«, begann Beezon, »ich hatte noch nicht das Vergnügen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Sind Sie neu im Geschäft? Haben Sie gerade einen Laden eröffnet?«
»Ich bin Großhändler.«
»Ich verkaufe an viele Großhändler. Aber es ist merkwürdig, dass wir uns noch nie über den Weg gelaufen sind. Die Szene ist ja nicht besonders groß.«
»Ich bin gerade erst in das Geschäft eingestiegen.«
Beezon legte die gefalteten Hände auf den Schreibtisch, musterte Tom und begutachtete den Anzug von oben bis unten. »Visitenkarte?«
»Gerade keine dabei.«
»Nun, was kann ich für Sie tun, Mr. Broadbent?« Er neigte den Kopf zur Seite, als erwarte er eine Erklärung.
»Ich hatte gehofft, mir ein paar Proben ansehen zu können.«
»Ich zeige Ihnen gern unser Lager.«
»Wunderbar.«
Beezon erhob sich schwerfällig, und Tom folgte ihm durch den Flur zu einer bescheidenen Tür ganz hinten. Beezon schloss sie auf, und sie betraten einen Raum so groß wie ein kleines Kaufhaus, doch die Regale waren statt mit Ware mit Fossilien vollgestopft, Tausende, vielleicht sogar Millionen. Hier und da fuhren Männer und Frauen mit Gabelstaplern oder schoben Hubwagen mit Paletten voller Steine herum. Sogar in der Luft hing der Geruch von Stein.
»Das war mal ein Kaufhaus«, sagte Beezon, »aber in dieser Ecke des Einkaufszentrums lief der Einzelhandel nicht gut, deshalb konnten wir die Räume günstig erwerben. Wir haben hier Lager, Ausstellungsfläche und Versand, alles in einem. Das Rohmaterial kommt an einem Ende rein, die bearbeitete Ware geht am anderen wieder raus.«
Er nahm Tom beim Ellbogen, führte ihn weiter und wedelte mit der Hand in Richtung einer Wand, an der gewaltige Blöcke aus gelbbraunem Gestein lehnten, gestützt von dicken Holzbalken, gepolstert und in Folie gehüllt. »Wir haben gerade hervorragendes Material aus Green River reinbekommen, klasse Ware. Sie können so etwas bei mir kubikmeterweise kaufen, es spalten und zerteilen und jeden Fisch einzeln verkaufen – damit verfünffachen Sie Ihr Geld.«
Sie kamen zu großen Tonnen voller Fossilien, die Tom als Ammoniten erkannte.
»Wir sind der größte Verkäufer von Ammoniten auf der Welt, poliert oder unbearbeitet, auf Matrix oder ohne, sowohl nach Gewicht als auch nach Stückzahl.« Er ging weiter, vorbei an einem Regal nach dem
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