Der Canyon
Augen.
»Kluges Mädchen. Also. Derselbe Schlüssel passt für beide Schellen. Als Erstes öffnest du die Fußfesseln, eine nach der anderen. Dann das rechte Handgelenk. Das linke mache ich selbst.« Er warf ihr den Schlüssel zu. Sie bückte sich, hob ihn auf, öffnete umständlich die Schellen um ihre Fußknöchel und befolgte seine Anweisungen genau.
»Jetzt lass den Schlüssel fallen.«
Er schoss vor und hob ihn auf. »Jetzt dein linkes Handgelenk.« Er trat an den Tisch, legte die Waffe darauf ab, ging zu ihr hinüber und legte ihr die Schelle ums linke Handgelenk. Dann überprüfte er alle Schellen und vergewisserte sich, dass sie richtig verschlossen waren.
Er trat zurück und nahm die Waffe vom Tisch. »Siehst du das?« Er deutete auf seinen Oberschenkel. »Du hast mich verletzt, ist dir das klar?«
»Ein Jammer, dass ich nicht mehr in der Mitte und eine Handbreit weiter oben getroffen habe«, sagte Sally.
Maddox lachte heiser. »Eine richtige kleine Komödiantin. Je eher du dich entschließt, endlich mitzuarbeiten, desto früher ist das alles hier vorbei. Dein Mann, der liebe Tommy, hat das Notizbuch. Ich will es haben.« Wieder zielte er mit der Glock auf ihren Fuß. »Gib mir seine Nummer, dann kommt die Sache ins Rollen.«
Sie nannte ihm die Handynummer.
»Du hast dir eine Belohnung verdient.« Er grinste, trat zurück und knöpfte sich das Hemd auf. »Ich zeige dir meine Tätowierung.«
17
In der Bibliothek des Amsterdam Club herrschte die übliche Stille. Die einzigen Geräusche waren das vornehme Rascheln von Zeitungen und ein gelegentliches Klingeln von Eiswürfeln in einem Glas. Die mit Eiche getäfelten Wände, die dunklen Gemälde und das schwere Mobiliar verliehen dem Raum eine Atmosphäre von Eleganz und Zeitlosigkeit, noch verstärkt vom Duft nach alten Büchern und Leder.
In einer Ecke, in einen tiefen Sessel versunken, der in einem gelben Lichtkreis stand, saß Iain Corvus, nippte an einem Martini und überflog die neueste Ausgabe des Scientific American. Er blätterte hastig um, ohne richtig zu lesen, und ließ die Zeitschrift schließlich ungeduldig auf den Beistelltisch fallen. Um sieben Uhr an einem Samstagabend leerte sich die Bibliothek allmählich, wie gewöhnlich, denn die Mitglieder gingen zum Abendessen hinüber. Corvus war weder nach Essen noch nach Unterhaltung zumute. Zweiundsiebzig Stunden waren vergangen, seit Maddox sich zuletzt bei ihm gemeldet hatte. Corvus hatte keine Ahnung, wo er war oder was er tat, und es gab keine ungefährliche Möglichkeit, Kontakt zu ihm aufzunehmen.
Er zappelte in seinem Sessel herum, schlug das andere Bein über und trank einen kräftigen Schluck Martini. Er spürte, wie sich die willkommene Wärme in seiner Brust ausbreitete und ihm zu Kopf stieg, doch sie beruhigte ihn nicht. So viel hing von Maddox ab; alles hing von Maddox ab. Seine Karriere hing am seidenen Faden, und er war einem ehemaligen Sträfling ausgeliefert.
Melodie arbeitete heute noch spät im Mineralogielabor und führte weitere Analysen an der Probe durch. Sie hatte sich als phänomenale Wissenschaftlerin entpuppt und viel mehr erreicht, als Corvus erwartet hatte. Sie hatte so hervorragende Arbeit geleistet, dass sich bei ihm allmählich Besorgnis breitmachte – vielleicht war sie doch keine so einfache Partnerin, wie er angenommen hatte. Womöglich hatte er einen Fehler gemacht, als er eine so bedeutende und bahnbrechende Analyse ihr allein anvertraut hatte, ohne sich zumindest so weit an der Arbeit zu beteiligen, dass es gerechtfertigt erschien, wenn er später den Ruhm dafür einheimste.
Sie hatte versprochen, ihn um elf Uhr anzurufen und ihm die neuesten Erkenntnisse mitzuteilen. Er sah auf die Uhr: noch vier Stunden.
Was sie entdeckt hatte, war bereits mehr als ausreichend, um es bei dem Gespräch über seine Beförderung präsentieren zu können. Es wäre schlicht unmöglich, ihm den Titel zu verweigern und zuzuschauen, wie der wichtigste Dinosaurierfund aller Zeiten zusammen mit ihm zu einem anderen Museum abwanderte. Ganz gleich, wie wenig sie ihn mochten, ganz gleich, wie sehr sie sich an seinen mangelnden Veröffentlichungen störten, dieses Exemplar konnten sie sich nicht entgehen lassen. Es war ein unerhörter Glücksfall – aber nein, dachte Corvus, es war nicht einfach nur Glück. Glück, hatte einmal jemand gesagt, entstand, wenn gute Vorbereitung auf die richtige Gelegenheit traf. Er hatte sich gut vorbereitet. Er hatte vor über einem halben Jahr
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