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Der Cartoonist

Der Cartoonist

Titel: Der Cartoonist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Costello
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deshalb bei der Konstruktion
ihres Bootsstegs Wert auf eine leichte Handhabung gelegt. Sie hatte im flachen
Wasser, nahe am Ufer, einen schmalen Laufsteg errichtet, dessen drei kurze
Abschnitte auf gusseisernen Pfählen montiert waren. Der breite Hauptteil des
Stegs war ein einfaches, vier Mal vier Meter großes Quadrat aus Zedernholz, das,
ähnlich einem Schwimmdock, durch an der Unterseite befestigte Fässer an der
Wasseroberfläche gehalten wurde. Im Winter konnte man diesen Teil leicht an
Land ziehen und im Frühjahr wieder zurück in den See befördern. Scott hatte an
jenem kühlen Apriltag nur einen kurzen Blick auf die verkrustete Unterseite des
Stegs geworfen, aber ihm waren dabei diese ungewöhnlichen Fässer mit ihrem
engmaschigen Rippenmuster und den aufgedruckten Rosen aufgefallen. Jetzt war
seine Erinnerung wieder glasklar.
    Scott zog sich
am Steg hoch und setzte sich, etwas verwirrt und aus dem Gleichgewicht
gebracht, auf die Kante. Kath ließ sich neben ihn plumpsen und untersuchte mit
hoffnungsvollen Blicken seine Hände.
    »Hast du's
gefunden ?«
    Als Scott die
rechte Hand öffnete, in der das kleine Silberarmband verborgen war, schrie Kath
begeistert auf. Sofort griff sie nach dem Schmuckstück, legte es an und küsste
ihn mit voller Wucht auf den Mund. Genau in diesem Moment tauchte Lita auf und
Kath schoss davon, um ihr jedes Detail der Beinahe-Katastrophe zu schildern.
Und während sie den Weg hochraste, bewunderten ihre Augen das Armband wie einen
neu gefundenen Schatz.
    Es war
selbstverständlich unmöglich, konnte nur ein Zufall sein. Das war die einzige
sinnvolle Erklärung. Ganz bestimmt hatte der alte Zeichner etwas völlig anderes
skizziert, etwas, das der Wirklichkeit zufällig ein wenig ähnelte und deshalb
bei Scott bestimmte Erinnerungen ausgelöst hatte. Genau so musste es sein. Denn
wie und wann sollte der Alte die Unterseite des Anlegestegs, seines Stegs, gesehen haben? Vielleicht kannte er die Künstlerin, die früher hier
gewohnt hatte, überlegte Scott, ohne dass er selbst es glauben konnte. Und
falls das zutraf: Wie sollte er wissen, wer jetzt hier wohnte?
    Und wenn er
es doch weiß ? , widersprach Scotts Kopf mit einem
dieser abstrusen Gedankengänge, die manchmal durch absurde Ereignisse
heraufbeschworen werden. Was ist, wenn der Alte tatsächlich weiß\ dass ich
hier lebe? Und falls ja, hat er dann versucht, mir auf diese Weise etwas mitzuteilen ? Indem er die Zeichnung als eine Art Zeichen
benutzt hat?
    Aber nein,
natürlich nicht. Der Mann war doch völlig weggetreten, da war kein Funken von
Verstand mehr übrig. Und selbst wenn er versucht haben sollte, ihm etwas
mitzuteilen, warum mit etwas so Absonderlichem wie einer Skizze, auf der die
Unterseite des Anlegestegs abgebildet war? Falls er tatsächlich wissen sollte,
wo Scott wohnte, warum zeichnete er dann nicht einfach das Haus? Es war zum
Verrücktwerden!
    Ungeachtet der
Kälte, die den aufkommenden Sturm ankündigte, blieb Scott nass und zitternd
sitzen und dachte über die Zeichnung nach. Er versuchte sich jede Einzelheit
dieser kurzen bizarren Momente, die er am gestrigen Nachmittag allein mit dem
Alten verbracht hatte, ins Gedächtnis zu rufen. Zuerst war da das unheimliche
Gefühl gewesen, dass er diese Dinge schon einmal gesehen haben musste, dann war
die Schwester mit einer Nachricht für ihn vorbeigekommen ... Und hatte der alte
Mann sich in diesem Augenblick nicht besonders beeilt? Hatte er nicht begonnen,
schneller zu zeichnen? Als ob er befürchte, Scott könne ihn verlassen, ohne die
vollständige Zeichnung gesehen, ohne den Zusammenhang erkannt zu haben?
    Scott
schüttelte den Kopf und stand auf, während vor seinem geistigen Auge das Bild
des sabbernden, wahnsinnigen Alten auftauchte, dessen Fähigkeiten so fehl am
Platz schienen. Er versuchte, gedanklich wieder festen Boden unter die Füße zu
bekommen: Sicher war nur seine Fantasie mit ihm durchgegangen, oder?
    Aber es half
nichts. Die Verbindung, die sein Verstand hergestellt, auf die er sich fixiert
hatte, konnte er nicht leugnen und beim besten Willen nicht wieder aus der Welt
schaffen, sosehr er auch nach Gegenargumenten suchte. Als sein Blick zum
wiederholten Mal in die Tiefe schweifte, kam er zu dem Schluss, dass es nur
einen Weg gab, die Sache ein für alle Mal zu klären. Abrupt drehte er sich um
und eilte mit schnellen, nervösen Schritten den Hügel hinauf.
    Auf der Suche
nach seiner wasserfesten Minolta-Kamera durchwühlte Scott den gesamten

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